Schlichting, H. Joachim. In: Spektrum der Wissenschaft 7 (2009), S. 38
»Ich wollte es nicht glauben, als ich zum ersten Mal sah,
wie der Strohhalm aus meiner Sodadose aufstieg …«
Howie
Ein Trinkhalm im Sprudelglas steigt auf, weil sich kleine Gasblasen an ihn heften.
Howie war fasziniert. »Ich wollte es nicht glauben«, sagt Nicholson Bakers Romanfigur in »Rolltreppe oder die Herkunft der Dinge«, »als ich zum ersten Mal sah, wie der Strohhalm aus meiner Sodadose aufstieg und über den Tisch hinaushing, kaum gehalten von den Einkerbungen an der Unterseite der Metallöffnung.« Dann versetzte die unerwartete Levitation den Büroangestellten in Ärger: »Wie konnten die Trinkhalmdesigner einen so elementaren Fehler begehen und einen Trinkhalm konstruieren, der weniger wog als das Zuckerwasser, in dem er stehen sollte?«
Diese Überlegung liegt nahe. Doch hätte Howie so auch erklären können, dass in Saft oder stillem Wasser nichts dergleichen geschieht? Tatsächlich schickt sich der Halm nur in kohlenstoffdioxidhaltigen Getränken an, das Glas zu verlassen. Schauen wir ihm dabei genau zu, erkennen wir, wie er sich allmählich mit zahlreichen, stetig wachsenden Gasbläschen überzieht. Zwar lösen sie sich ab, sobald ihre Auftriebskraft die Adhäsionskraft übersteigt, die sie am Halm festhält. Solange sie jedoch haften bleiben, ziehen sie den Halm mit sich nach oben. Anders gesagt: Er steigt auf, weil »seine« ohnehin geringe mittlere Dichte mit der Zunahme der anhaftenden Bläschen abnimmt. Denn diese müssen nun dem Trinkhalm zugerechnet werden.
Wann ist aber Schluss mit dem Aufsteigen? In dem Maß, in dem der Halm aus dem Wasser auftaucht, verkürzt sich sein eingetauchtes, mit Bläschen überzogenes Ende. Dadurch nimmt die Auftriebskraft ab, und zwar so lange, bis sie gerade so groß ist wie die Gewichtskraft des Trinkhalms – zumindest theoretisch. Denn mit dem allmählichen Kippen des auf dem Glasrand aufliegenden Halms ist es möglicherweise schon früher vorbei, dann nämlich, wenn sein unteres Ende an der Glaswand verkantet. Schade, denn so lässt sich aus der Länge des noch eingetauchten Endes nicht erschließen, wie stark sich die mittlere Dichte des Halms durch die anhaftenden Bläschen verringert. Hier hilft nur noch der Griff zur Flasche, denn in ihr kommt es nicht zum Verkanten.
Dass all diese Effekte nur auf der Sommerterrasse eine Rolle spielen, stimmt übrigens nicht. Von hier mag allenfalls die Inspiration kommen: Eine Rosine in Sprudelwasser beispielsweise sinkt zuerst zum Glasboden, überzieht sich dann aber schnell mit Gasbläschen, von denen sie zur Oberfläche transportiert wird. Dort geht ein Teil der Gasbläschen in die Luft über und die Rosine sinkt wieder ab – ein Vorgang, der sich viele Male wiederholt. Wozu das gut sein soll? Der Schiffbauingenieur Wilhelm Bauer fand es heraus. 1863 holte er erstmals einen gesunkenen Dampfer mit Hilfe von Hebeballons wieder zurück an die Wasseroberfläche.
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