Schlichting, H. Joachim. In: Spektrum der Wissenschaft 41/8 (2010), S. 32 – 33
Kombiniert mit einer Blaufärbung der Gebäude ist das Phänomen des »Alpenglühens« auch beim Sonnenaufgang über Johannesburg zu bewundern.
… nicht aus einem Zimmer voll Luft,
sondern erst aus der ganzen Höhe der Luftsäule
kann das Ätherblau eines Himmels geschaffen werden
Jean Paul (1763–1825)
Das Alpenglühen ist an sich der Bergwelt vorbehalten. Während die Täler bei Sonnenaufgang noch im Dunkeln liegen, reflektieren Felswände und Schneeflächen das rötliche Sonnenlicht – am intensivsten dann, wenn es kurz zuvor auf sie geregnet hat – und schaffen eine einzigartige Stimmung. Dasselbe Naturphänomen tritt natürlich auch bei Sonnenuntergang auf, aber man muss nicht einmal in den Bergen sein, um es zu erleben. Moderne Städte mit ihren Hochhäusern tun es auch, wie das Foto unten belegt. Indessen fällt auf diesem Bild, entstanden beim Landeanflug auf das südafrikanische Johannesburg, nicht nur die rötliche Färbung der in der aufgehenden Sonne stehenden Wolkenkratzer auf, sondern auch der auf den meisten Gebäuden liegende Blauschimmer. Der wiederum besitzt eine so unmittelbar einleuchtende Erklärung – er verdankt sich dem Himmelsblau –, dass die Fragen, die sich daran anschließen müssten, gerne gar nicht erst gestellt werden. Ist zum Beispiel klar, warum erst das Blau des Himmels den Sonnenuntergang in Gelb und Rot erscheinen lässt?
Verlassen wir also den Ort, an dem uns manches allzu selbstverständlich ist, und blicken einmal vom Mond aus in das Weltall. Hier wäre alles anders: Der »Himmel« erschiene schwarz wie die Nacht, und stünde man im Schatten eines Mondkraters, wäre es dort ebenfalls pechfinster. Allenfalls das Streulicht hell beleuchteten Mondoberfläche würde die Umgebung schwach aufhellen.
Der schon sprichwörtlichen Frage »Warum ist der Himmel blau?« wäre demzufolge eine viel wichtigere voranzustellen: Warum ist der Himmel hell? Denn anders als auf dem Mond darf auf der Erde die Sonne schon einmal verdeckt sein, und trotzdem sorgt der Tageshimmel allenthalben für gute Sicht.
Das verdanken wir der Atmosphäre, jener vor allem aus Stickstoff und Sauerstoff bestehenden Gasschicht, die das Licht der Sonne streut und zu der indirekten Beleuchtung führt, die wir als Himmel wahrnehmen. Auch manche Wohnzimmerlampen beleuchten die Gegenstände im Zimmer nur indirekt: Sie senden ihr Licht zur Decke, von der es zurückgestreut wird. Die Wellenlänge – also Farbe – des Lichts verändert sich dabei kaum. Luft hingegen streut verschiedene Farben unterschiedlich stark: Violett und Blau am kurzwelligen Ende des Spektrums werden am stärksten gestreut, das langwellige Rot am schwächsten. Quantifiziert hat diesen Zusammenhang schon 1873 der Brite Lord Rayleigh (der für seine Forschung an Gasen 1904 den Nobelpreis erhielt): Die Intensität der Streustrahlung nimmt mit der 4. Potenz der Wellenlänge ab. Da die Wellenlänge von rotem Licht, zur Veranschaulichung grob vereinfacht, zweimal so groß ist wie die des blauen Lichts, ist die Intensität des blauen Lichts also 24=16 Mal so groß wie die des roten. Im Streulicht ist der Blauanteil darum entsprechend größer als im direkten, weißen Sonnenlicht. Doch violettes Licht ist noch kurzwelliger als blaues. Da liegt die Frage nahe, warum der Himmel nicht eher violett erscheint? Dafür gibt es mehrere Gründe. Zum einen nimmt der Wellenlängenbereich, den unser Gehirn zu einer violetten Farbwahrnehmung verarbeitet, nur einen relativ kleinen Anteil im Spektrum des Sonnenlichts ein. Auch ist unser Auge für die entsprechenden Wellenlängen weniger empfindlich als für jene, die der Farbe Blau entsprechen. Zum anderen werden ja auch alle anderen Farben über Grün und Gelb bis zum Rot an den Luftmolekülen gestreut (wenn auch mit rapide abnehmender Intensität). Was wir als charakteristisches Himmelsblau wahrnehmen, ist also eine Mischfarbe, die sich von Weiß vor allem dadurch unterscheidet, dass die kurzen Wellenlängen wesentlich stärker als die langen vertreten sind.
Ganz im Sinn des Zitats von Jean Paul kann man sich übrigens auch klarmachen, wie schwach die Blautönung eigentlich ist. Wäre sie dies nicht, müsste jeder Gegenstand, der nicht im direkten Sonnenlicht betrachtet wird, blau schimmern, weil wir ihn stets durch die Luft hindurch sehen. Erst der Blick durch eine kilometerdicke Luftschicht etwa auf ferne Berge führt dazu, dass wir die blaue Farbe allmählich erkennen. Dann allerdings wirkt sie merkwürdig, obgleich uns der Himmel dieses Phänomen alltäglich vor Augen führt.
»Beim Siroc der Sonnenwagen purpurrot sich niedersenkt«
Die Rayleighstreuung in der Atmosphäre hat auch eine Konsequenz für die Farbe des direkten Sonnenlichts. Denn diesem gehen beim Durchgang durch die Atmosphäre vor allem kurzwellige Anteile verloren. Das legt die Frage nahe, ob uns das direkte Sonnenlicht im kurzwelligen Bereich nicht stärker »ausgedünnt« und wegen der resultierenden Dominanz langwelliger Anteile nicht noch etwas gelblicher erscheinen müsste.
Dies ist in der Tat der Fall. Bei hoch stehender Sonne merken wir davon zwar wenig, weil der Weg des Sonnenlichts durch die Atmosphäre kurz und daher die Streuverluste gering sind. Nähert sich die Sonne aber dem Horizont und legt die Strahlung einen sehr langen Weg durch dichte Atmosphärenschichten zurück, bevor sie das Auge des Betrachters erreicht, hat das weiße Licht so viel an kurzwelligen Anteilen verloren – violett, blau und grün –, dass die Gelbund Rottöne dominieren. Diese also gewinnen vor allem dadurch an Einfluss, dass das Blau ja »benötigt« wird, um den Himmel einzufärben.
Einer kilometerdicken Luftschicht bedarf es indessen gar nicht, um all diese Lichteffekte vorzuführen. Schon ein Opal erinnert uns unweigerlich an Himmelsblau und Alpenglühen. Im weißen Sonnenlicht schimmert der Schmuckstein bläulich, streut also verstärkt blaues Licht nach allen Seiten. Hält man ihn hingegen vor eine weiße Lichtquelle und schaut durch ihn hindurch, erscheint er je nach Dicke gelb, orange oder rot. Das hindurchgegangene Licht kann man aber auch auffangen (siehe Foto oben rechts): Dann herrscht das »kalte Feuer« einer Rotfärbung vor, die jedem farbenprächtigen Sonnenuntergang zur Ehre gereicht.
Ist die Ähnlichkeit der Effekte eine zufällige? Keineswegs. Auch die Farben, die uns der Opal sehen lässt, verdanken sich der Rayleighstreuung des Lichts. In diesem Fall wird es an winzigen Kügelchen aus Cristobalit gestreut. (Dieses Molekül, das dieselbe Summenformel wie Siliziumdioxid, SiO2, besitzt, ist in die amorphe Kieselsäurematrix des Opals eingelagert.)
Im Licht der Physik können sich Ähnlichkeiten zwischen völlig verschiedenen Gegenständen also als Manifestationen desselben physikalischen Gesetzes erweisen. Den Zusammenhang zwischen Himmelsbläue und Farbenlehre hat auch Johann Wolfgang von Goethe – der Dichterfürst, der sich eher als Naturforscher betrachtete – schon gesehen:
Tatsächlich: Auch der vom Schirokko (Siroc) aus den nordafrikanischen Wüsten nach Europa gewehte und oft sehr feine Sandstaub kann die Lichtstreuung verstärken und für purpurrote Sonnenuntergänge sorgen, wie sie bei klarer Luft ausbleiben. Rayleigh hat quantifiziert, was Goethe wohl schon erahnte.
http://www.spektrum.de/alias/schlichting/sonnenaufgang-in-einem-opal/1037432
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