Schlichting, H. Joachim. In: Spektrum der Wissenschaft 43/9 (2012), S.46 – 47
Aber als ich den Tee aufgoss,
waren schon die Möglichkeiten,
ungeheuer, wieder vergessen;
im quirlenden Dampf verfing
sich mein Blick, bis er verschwand, …
Henning Ziebritzki (*1961)
Die Natur muss erst einmal Wassertröpfchen nach Größe sortieren,
damit wir Farbeffekte in Nebelfahnen beobachten können.
Stellen Sie sich vor, Nebel liegt über dem Land. Myriaden winziger Wassertröpfchen, zehn, zwanzig oder fünfzig Millionstel Meter groß, schweben in der Luft und streuen Sonnenlicht verschiedenster Frequenzen in alle Richtungen. Das Ergebnis ist eine triste, grauweiße Lichtmischung; jegliche Farbe der Landschaft scheint verschluckt.
Anders ist es, wenn Nebel in größeren Höhen unter weitgehend einheitlichen Bedingungen entsteht und aus weitgehend gleich großen Tröpfchen besteht. Wenn derartige dünne Wolken von Sonnen- oder Mondlicht durchdrungen werden, kann es zu eindrucksvollen Koronen kommen, das sind farbige Ringsysteme, die die leuchtenden Himmelkörper umgeben.
Sie müssen aber nicht auf die vergleichsweise seltenen Situationen warten, bis sich am Himmel etwas tut. Wenn Sie bei tiefstehender Sonne, etwa am frühen Morgen, auf Ihrer Terrasse heißen Tee oder Kaffee trinken und in die von der Tasse aufsteigende, lichtdurchflutete Nebelfahne blicken, können Sie darin tatsächlich Fetzen farbigen Lichts entdecken (Abb. 1). Aber noch überzeugender ist der Blick auf die Oberfläche des Getränks, denn dort finden Sie Inseln winziger Tröpfchen gleicher Größe vor, die vom reflektierten Sonnenlicht durchdrungen veritable Koronen hervorrufen können.
Dass sonnenbeschienene Wassertröpfchen das weiße Licht in Farbringe zerlegen können, wird Sie nicht verwundern. Denn winzige Tröpfchen beugen das auftreffende Licht. Man kann sich das so vorstellen, dass eine eintreffende Lichtwellenfront einer bestimmten Frequenz am Rand eines Tropfens neue Lichtwellen auslöst – so genannte Elementarwellen –, die sich dann in unterschiedliche Richtungen ausbreiten. Überlagern sich zwei von unterschiedlichen Punkten eines Tropfens kommende Lichtwellen auf der Netzhaut des Auges oder auf dem Chip der Kamera, haben sie im Allgemeinen einen geringfügig unterschiedlichen Weg zurückgelegt. Die Folge ist eine so genannte Phasendifferenz: Wellenberge und Wellentäler sind gegeneinander verschoben. Je nach Größe der Phasendifferenz können sich die Wellen auslöschen oder auch verstärken. Im ersteren Fall treten dafür andere Farben stärker hervor, im letzteren werden die vorhandenen verstärkt. Doch so oder so entsteht durch diese Interferenz farbiges Licht. Die ringförmige Struktur der Farben verdankt sich dabei der Kugelsymmetrie der Tröpfchen: In gleichen Winkelabständen rings um das Tröpfchen liegen dieselben Beugungsbedingungen vor, sodass an den entsprechenden Stellen auf der Netzhaut dieselben Farben erscheinen. Doch nur dann, wenn viele ungefähr gleich große Tröpfchen von weißem Licht durchstrahlt werden, addieren sich die Intensitäten des gebeugten Lichts so, dass tatsächlich ein gut sichtbares Ringsystem entsteht.
Wenn man die turbulenten Nebelschwaden über dem Tee beobachtet, wird verständlich, dass einheitliche Bedingungen zur Bildung gleichgroßer Tröpfchen nur kurzfristig vorliegen und daher nur wechselnde Farbsträhnen zu beobachten sind. Anders ist es bei den Tröpfchen, die in unterschiedlich großen Inseln vereinigt auf der Oberfläche des Tees oder Kaffees driften. Sie verdanken sich in einem subtilen Selektionsprozess im Zusammenhang mit der Verdampfung des heißen Wassers: An der Grenze zwischen heißer Wasseroberfläche und vergleichsweise kalter Luft, bildet sich Wasserdampf und steigt so schnell auf, dass die Strömung schon in geringer Höhe turbulent wird. Grund für die starke Beschleunigung der Moleküle ist vor allem die Wärme, die frei wird, wenn ein Teil des heißen Dampfs in der kälteren Luft gleich wieder zu winzigen Wassertröpfchen kondensiert. Diese Tröpfchen werden wiederum als Nebel sichtbar und helfen uns, die schnelle Bewegung des unsichtbaren Dampfs zumindest indirekt zu verfolgen.
Normalerweise entstehen die Tröpfchen in unterschiedlichen Größen. Die größeren und damit schwereren fallen sofort wieder in das Getränk zurück, die kleineren entweichen in den sichtbaren Nebelfahnen. Dazwischen gibt es Tröpfchen, die genau das richtige Gewicht haben, um von dem aufsteigenden Dampfstrom getragen und in der Schwebe gehalten zu werden. Aus ihnen bestehen also die Inseln aus gleich großen Tröpfchen, die voneinander durch schmale dunkle Grenzbereiche getrennt sind, über die offenbar keine Tröpfchen schweben.
Diese Konstellation verrät etwas über die Dynamik der an der Oberfläche des Getränks ablaufenden Vorgänge, die vor allem von den Konvektionsströmungen in der Flüssigkeit bestimmt werden. Denn die Tröpfcheninseln schweben über Oberflächenbereichen, in denen heiße Flüssigkeit aufsteigt, sich abkühlend zu den Rändern hin bewegt und schließlich – kühler, also wieder schwerer geworden – erneut absinkt. Spätestens hier kann mangels Wärmeenergie kein Dampf und damit auch kein Nebel mehr entstehen. Noch verstärkt wird die Konvektion durch die mit der Temperatur variierende Oberflächenspannung. Heißes Wasser besitzt eine geringere Oberflächenspannung als kaltes; es kann also energetisch kostengünstiger sein, die kühlere Oberfläche durch eine heißere zu ersetzen. Die aufsteigende heiße Flüssigkeit breitet sich daher auch aus diesem Grund in Richtung auf die kühlen Ränder aus.
Von der Verwandtschaft der Farben mit Koronen um Himmelskörper können wir uns übrigens folgendermaßen überzeugen. Wenn wir das weiße Sonnenlicht so auf die Oberfläche des Tees fallen lassen, dass anschließend eine Insel von gleichgroßen Tröpfchen durchstrahlt wird, sieht man zumindest aus größerem Abstand, wie aus den einzelnen Farbfetzen eine ordentliche Korona entsteht.
Übrigens ist nicht einmal Wasser nötig, um Koronen zu erzeugen. Selbst die Folie eines Tintenstrahldruckers kann dazu dienen, eindrucksvolle Ringstrukturen hervorzubringen, denn sie enthält eine Vielzahl winziger lichtstreuender Strukturen gleicher Größe (siehe „Weihnachtliche Krönung“, SdW 12/2009, S. XY).
Literatur:
Suhr, W., Schlichting, H.J.: Quételet’s fringes due to scattering by small spheres just above a reflecting surface. In: Applied Optics, Band 48, Nr. 26, S. 4978 – 4984, 2009.
http://www.spektrum.de/alias/schlichting/farbenschillernder-nebel/1157703
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