Als Newtons Kraftkonzept bekannt und heftig diskutiert wurde, war ein wesentlicher Stein des Anstoßes die Fernwirkung seiner Kraft. Eine augenblickliche Wirkung über große Entfernungen ohne vermittelndes Etwas dazwischen, war im Rahmen der klassischen Physik schwer vorstellbar. Selbst Newton hielt nichts von einer Fernwirkung und vertraute wohl darauf, dass sein formal überaus erfolgreiches Kraftkonzept später eine angemessene philosophische Deutung erfahren würde.
Im Rahmen der Quantenphysik sollte später die Diskussion um die Fernwirkung erneut entbrennen. Obwohl Einstein entscheidenden Anstoß zur Entdeckung, dass weit entfernte Systeme nichtsdestoweniger auf sehr enge Weise miteinander zusammenhängen können, als „spukhafte Fernwirkung“ abtat, ist man inzwischen davon überzeugt, dass eine solche Verschränkung ein wesentliches Merkmal der Quantenphysik darstellt. Inzwischen gelingt es sogar experimentell Verschränkungen von immer größeren Teilchen nachzuweisen, womit die Diskussion über die Fernwirkung neu eröffnet wurde.
Es ist bekannt, dass Goethe der Newtonschen Physik äußerst skeptisch gegenüberstand, und sich mit einer nicht ganz so ernsten Ballade in die Diskussion einmischte, die damals nicht nur die Physiker, sondern auch die Philosophen wortgewaltig auf den Plan rief. Er löste das Problem mit den dichterischen Möglichkeiten, die ihm zu Gebote standen, auf seine Weise:
Wirkung in der Ferne
Die Königin steht im hohen Saal,
Da brennen der Kerzen so viele;
Sie spricht zum Pagen: „Du läufst einmal
Und holst mir den Beutel zum Spiele.
Er liegt zur Hand
Auf meines Tisches Rand.“
Der Knabe, der eilt so behende,
War bald an Schlosses Ende.
Und neben der Königin schlürft zur Stund
Sorbet die schönste der Frauen.
Da brach ihr die Tasse so hart an dem Mund,
Es war ein Greuel zu schauen.
Verlegenheit! Scham!
Ums Prachtkleid ist’s getan!
Sie eilt und fliegt so behende
Entgegen des Schlosses Ende.
Der Knabe zurück zu laufen kam
Entgegen der Schönen in Schmerzen.
Es wußt‘ es niemand, doch beide zusamm‘,
Sie hegten einander im Herzen;
Und o des Glücks,
Des günst’gen Geschicks!
Sie warfen mit Brust sich zu Brüsten
Und herzten und küßten nach Lüsten.
Doch endlich beide sich reißen los;
Sie eilt in ihre Gemächer;
Der Page drängt sich zur Königin groß
Durch alle die Degen und Fächer.
Die Fürstin entdeckt
Das Westchen befleckt:
Für sie war nichts unerreichbar,
Der Königin von Saba vergleichbar.
Und sie die Hofmeisterin rufen läßt:
„Wir kamen doch neulich zu Streite,
Und Ihr behauptetet steif und fest,
Nicht reiche der Geist in die Weite,
Die Gegenwart nur,
Die lasse wohl Spur;
Doch niemand wirk‘ in die Ferne,
Sogar nicht die himmlischen Sterne.
„Nun seht! Soeben ward mir zur Seit‘
Der geistige Süßtrank verschüttet,
Und gleich darauf hat er dort hinten so weit
Dem Knaben die Weste zerrüttet.-
Besorg‘ dir sie neu!
Und weil ich mich freu‘,
Daß sie mir zum Beweise gegolten,
Ich zahl‘ sie! sonst wirst du gescholten.“
Johann Wolfgang von Goethe: Wirkung in die Ferne (1815)
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