Seitdem ich ein gläsernes Windspiel vor dem Fenster hängen habe, laufen bei Sonnenschein farbige Kreise über die Wände. Das ist aus zweierlei Gründen erstaunlich. Erstens bewegt sich das Windspiel, auch wenn keine Luftbewegungen auf andere Weise zu erkennen sind. Besonders im Sommer, wenn keine zirkulierende Luft durch die Heizung zu erwarten ist, kann man sich über die Sensibilität des Objekts wundern. Von Windspiel zu sprechen erweist sich spätestens durch diese Beobachtung gerechtfertigt. Zweitens ist nicht sofort einzusehen, wie diese kleine Glasscheibe von rechteckiger Form, 8 cm lang und 4 cm breit und mit prismatisch abgeflachtem Rand (siehe Abbildung unten links) einen kreisförmigen Lichtfleck hervorbringen und damit eine Art Umkehrung der Quadratur des Kreises zustande bringen soll. Die Diskrepanz zwischen dem Bild und dem Verursacher des Bildes ist so groß, dass ich erst aus der Korrelation zwischen der Bewegung des Windspiels und der Lichtkreise auf der Wand darauf gekommen bin, hier einen Zusammenhang zu sehen.
Die Lösung des Rätsels war einfacher als gedacht. Ich hielt ein Blatt Schreibmaschinenpapier hinter das sonnenbeschienene Glas und entfernte mich langsam in Richtung auf die Wand, auf der der Lichtfleck zu sehen war. Dabei sah ich auf der Rückseite des Papiers, wie sich die hellen streifenförmigen Abbildungen der trapezförmigen, prismatischen Kante vom Urbild ablösten und in entgegengesetzter Richtung strebten. Dabei ließen sie lediglich einen dunklen Rahmen zurückließen, den Schatten des Randes zurück (siehe Bildserie unten rechts. Von links nach rechts nimmt der Abstand zum Windspiel zu. Die Bildqualität entspricht dem, was durch ein Blatt Papier zu sehen ist).
Durch die prismatische Form wird das auftreffende Sonnenlicht gebrochen und in Form heller Lichtstreifen zur Seite abgelenkt. In geringer Entfernung besitzen die Lichtstreifen noch die Form des Glases, nehmen aber mit zunehmender Entfernung allmählich die Form der Lichtquelle an, also in diesem Fall der Sonne und werden rund. Diese Abrundung erfolgt in völliger Übereinstimmung mit der Entstehung von Sonnentalern unter dem Blätterdach von Bäumen. Auch dort geht der durch die Öffnung zwischen den Blättern geprägte Querschnitt des Lichtbündels mit zunehmender Entfernung in eine runde Form über, so dass auf dem Waldboden runde Sonnenbilder projiziert werden.
Im vorliegenden Fall kommt noch eines hinzu: Da die Ablenkung des Lichts beim Durchgang durch die Glaskante mit prismatischem Querschnitt erfolgt, werden die verschiedenen Wellenlängen des weißen Lichts unterschiedlich stark gebrochen und in verschiedene Richtungen abgelenkt, so dass mit größerer Entfernung eine Aufspaltung in die Spektralfarben des Sonnenlichts zu sehen ist. An der Wand findet man also für jede Farbe einen eigenen Sonnentaler vor. Allerdings ist die Trennung bei den in normalen Zimmern anzutreffenden Entfernungen noch so gering, dass sich die einzelnen farbigen Sonnentaler weitgehend überlagern. Bei geringerer Entfernung entstehen lediglich farbige Ränder mit Blau auf der einen und Rot auf der gegenüberliegenden Seite (obige Abbildung). Bei größerer Entfernung ergibt sich eine stärkere Trennung und es entsteht ein länglicher Lichtfleck sich überlagernder farbiger Sonnentaler (mittlere Abbildung). Lediglich in der Mitte mischen sich noch alle Farben, so dass hier ein weißer Bereich zu sehen ist.
Im Sinne der Newtonschen Optik argumentiert kann man sagen, dass normale weiße Sonnentaler Überlagerungen vieler einfarbiger Sonnentaler sind.
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