Die Dämmerung ist eine Totalität. Sie hüllt tendenziell alles ein, und obgleich sie sich ausbreitet, ist sie ein Zustand des Ganzen: es dämmert. Als Totalität dämmrigen Lichts wäre sie aber im Bild nicht von einem trüben Tag zu unterscheiden. Sie bedarf deshalb zu ihrer Darstellung des Gegensatzes. Es ist das Licht, das die Dämmerung artikuliert, oder besser: Lichter. Denn Bilder vom Sonnenaufgang oder vom Sonnenuntergang sind keine Dämmerungsbilder. Sonnenaufgänge und Sonnenuntergänge sind Spiele des Lichts und haben als solche im Bild ihr angemessenes Medium, in dem sie zur Darstellung kommen. Farbspiele, Lichtsäume, Beleuchtungseffekte sind die Erzeugenden solcher Anblicke. Die Dämmerung, die sich auf dem Boden ausbreitet oder von den Rändern drohend herankriecht, vermag hier das Licht zu artikulieren, nicht umgekehrt. Dagegen mag die Dämmerung ihre eigene Farbe haben, aber es ist dann die Farbe des Ganzen, die Grundtönung. Der Dichter Gottfried Benn nennt sie deshalb die blaue Stunde. Aber daß es Dämmerung ist, was im Bild erscheint, wird erst deutlich durch die einzelnen Lichter, die ihr widerstreiten oder die sich noch oder schon gegen sie zu behaupten vermögen – durch den Schein.*
Die Blaue Stunde entspringt aber nicht nur einer subjektive Empfindung. Dem Blau der Stunde liegt auch ein physikalisch erklärbares Phänomen zugrunde.
* Aus: Böhme, Gernot; Theorie des Bildes; Wilhelm Fink Verlag München, 2004
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