Am Strand, dem Saum zwischen Wasser und Land, sollte man sich eine Zeitlang auf das ewige Hin- und Her des auflaufenden und ablaufenden Wassers einlassen. Dann bemerkt man vielleicht, dass die sich wiederholenden Vorgänge ähnlich aber nicht identisch sind. Jede neue Welle nimmt eine geringfügig andere Richtung ein als die vorhergehende und läuft unterschiedlich weit auf den Strand auf.
Schaut man genau hin, dann wird die Grenze bis zu der sie vorstößt sogar aufgezeichnet – zumindest kurzfristig bis zur nächsten Welle: Denn das auf den letzten Metern ruhig auslaufende Wasser transportiert Sandkörnchen und andere Teilchen mit sich, die sich sofort absetzen, sobald die Bewegung aufhört. Das ist an der Stelle der Fall, an der das Wasser umkehrt und zum Meer zurückläuft, um noch während des Rücklaufs bereits von der nächsten Welle überrollt zu werden. Die sedimentierten Teilchen bilden eine frische Sandfläche, die am äußersten Rand durch eine feine wellenförmige Sandlinie begrenzt wird.
Die nächste Welle löscht diese Spur zum großen Teil wieder aus und hinterlässt, soweit die vorhergehende überspült wurde, ihre eigene Spur. Es entstehen Flächen, die sich teilweise gegenseitig überdecken, so dass die Randlinien sich nie überkreuzen können. Und das ist genau der Anblick, den man erlebt, wenn man auf ein Gebirge blickt: Die hinteren Berge werden von den vorderen verdeckt. Daher ruft ein solches Sandlinienbild auch sofort einen räumlichen Eindruck hervor, man sieht eine bergige Landschaft. Und das obwohl dieses Wellengemälde das Ergebnis eines irreversiblen zeitlichen Ablaufs ist. Beobachtet man diese Wellenmalerei über einen gewissen Zeitraum (sic!) hinweg, so erlebt man überdies wie die Gebirgslandschaft ständig umgebildet wird, nicht nur die Form, sondern auch die Anzahl der Berge ändern sich. Im vorliegenden Fall ist der Sand ein Gemisch aus dunklen und hellen Körnern, die durch die komplexen Bewegungsvorgänge teilweise entmischt und wieder gemischt werden und auf diese Weise entsprechende Strukturen hinterlassen. Im vorliegenden Fall sind die Strukturierungen der Sedimente so beschaffen, dass man kaum anders kann, als darin räumliche Gebilde, also Berge zu sehen – eine veritable optische Täuschung.
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