„Auf der Grenze liegen immer die seltsamsten Geschöpfe“, sagt Georg Christoph Lichtenberg (1732 – 1799). Dieser Satz fällt mir beim Blick auf die fluchtenden Grenzlinien ein, als ich von einer Sanddüne aus die Menschen am Saum des Meeres entlanggehen sehe und offenbar mehr oder weniger bewusst das Auf-der-Grenze-Spazieren“ genießen. Was von hier oben als gerade Linie aussieht ist, aus der unmittelbaren Nähe betrachtet ein rhythmisches Spiel der auf den Sandstrand auslaufenden Meereswellen, die von den Menschen je nach „Temperament“ entweder gerade gemieden werden oder deren Wechselbad man gerade genießen möchte.
Unbewusst wird man vielleicht vom Aneinandergrenzen der Elemente: Erde, Wasser, Luft gefangen genommen, die durch die Bewegung des Wassers und der Luft „befeuert“ werden (Feuer = Energie als viertes Element). Das Wasser ist hier in sichtbarer Weise gleich zweimal im Spiel, als Meer und als Wolken darüber. Die Parallelität der Grenzen zwischen Meer und Wolkenfront lässt eine verschwiegene aber doch sichtbar werdende Kommunikation zwischen den beiden Sphären vermuten. Jedenfalls lösen sich die Wolken ziemlich genau über der Grenzlinie zwischen Land und Meer teilweise auf und lassen den Himmel durchscheinen, dessen Blau mit dem Blau des Meeres harmoniert. Während an diesen Grenzlinien das Lineare in subtiler Weise ausgefranst und in ständiger Veränderung bewegt erscheint, blicken wir auf eine gerade Horizontlinie, in der Himmel und Erde sich in einem mit dem Lineal gezogen erscheinenden Grenzlinie zu berühren scheinen. Aber auch diese Gerade täuscht, sie begrenzt letztlich den runden Rand der Erdkugel, von dem aber aus unserer Perspektive nichts zu sehen ist. Vielleicht haben diese zumindest unbewusst mitgedachten Beziehungen einen Anteil an der die Ästhetik, die in diesem Anblick enthalten ist.
„Sagbar ist nur der Milchwellensaum am flachsandigen Strand – von einem Meer. Nur der letzte, landgewinnende Saum, nur diese weißschäumende Franse: keine Woge von draußen, die keiner sieht, die keinen erschüttert und keinen bedroht“ (Kästner, Erhart: Zeltbuch von Tumilat. Frankfurt am Main, 1974)
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