„Manchmal, wenn der Himmel weit offen und tief ist wie heute, meine ich, Kopf im Nacken, den Blick in die Zeit selbst zu versenken. Nachts geben mir die Sterne recht, die aus tiefster Vergangenheit und Einsamkeit zu mir hinunterfunkeln. Auch wenn sie über die Erde schweifen, verlieren sich die Augen oft im Gewesenen: jene Mauer dort reicht von einem fernen Zeitalter in das unsere, jener Baum wurzelt in einem fernen Jahrhundert.
Doch der Himmel allein bewahrt die Zeit, die weder erfaßt noch gedacht, sondern nur noch erahnt und gespürt werden kann, die bodenlose, schwindelerregende Zeit, in der die Gestirne zur Welt gekommen und zur Welt geworden sind. Die Erde ist eine Schwester der Sterne, aber so nahe, wie wir ihr sind, und bedeckt wie sie ist mit neu Hinzugekommenem, von Menschenhand Errichtetem, lenkt sie den Blick des Betrachters stets von sich selber ab. Für den die Augen zum nächtlichen Himmel Hebenden ist die Zeit kein Schacht mehr, kein Tunnel mit Ein- und Ausgang, den er in vorgegebenem Tempo durchschreiten muß. Vielmehr dehnt sie sich in alle Richtungen zugleich, steingeworden fliegen die Jahrmillionen, das Sonnenlicht auffangend und einander zuwerfend, durch die Finsternis.“
Weber, Anne: Besuch bei Zerberus. Frankfurt 2004
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