Wenn man zu tief ins Weinglas blickt, kann man manchmal sein wahres Wunder erleben. Aber auch schon ein harmloser Blick durch ein mit Wasser gefülltes Glas, kann zu erstaunlichen Ansichten führen. Im vorliegenden Fall schaut man auf einen zweifarbigen Hintergrund, nichts Besonderes eigentlich, wenn da nicht diese irritierende Vertauschung der beiden Seiten genau bis zum Füllstand des Wassers wäre und dabei so etwas wie ein Kreuz entstünde. Aufgrund von Anfragen zu diesem Phänomen werde ich versuchen, es möglichst einfach zu erklären, wobei ich auf nicht mehr als einige Relikte aus dem Optikunterricht der Schulzeit zurückgreife.
Zunächst muss man sich daran erinnern, dass man Gegenstände dadurch sieht, dass von ihnen Licht ausgeht und in unsere Augen gelangt: Die einfachste Vorstellung dazu ist, dass von jedem Punkt der „ins Auge gefassten“ Gegenstände Lichtstrahlen ausgehen. Müssen diese auf dem Weg zu unserem Auge durch ein durchsichtiges Medium hindurch – hier durch das mit Wasser gefüllte Weinglas – werden sie beim Grenzübertritt gebrochen, das heißt, sie werden umso stärker abgelenkt, je schräger sie auf die Grenzfläche auftreffen. Der gerade, also senkrecht, auf das Glas auftreffende mittlere Strahl geht weitgehend ungestört durch das Glas hindurch, während die Strahlen links davon nach rechts und rechts davon nach links abgelenkt werden. Sie überkreuzen sich infolgedessen, sodass das von den rechten Bereichen ausgehende Licht nach dem Durchtritt durch das Glas links gesehen wird und das Licht der linken Bereiche rechts. Das Glas wirkt also wie eine Sammellinse, im vorliegenden Fall näherungsweise wie eine Zylinderlinse. Im oberen Bereich des Glases, dort wo kein Wasser vorhanden ist, wird das Licht durch die dünne Glaswand kaum beeinflusst, sodass es dort zu keiner Vertauschung kommt.
Einfache Hintergründe wie dieses Rot-Blau-Muster sind eher geeignet, das Phänomen „auffallen“ zu lassen. Es tritt natürlich immer auf und die Netzhäute eines Jeden werden davon belichtet. Aber da im Trubel des Alltags kaum Jemand hinter den Netzhäuten steht und das Gesehene aufmerksam analysiert, bleibt das Phänomen meist unentdeckt.
…kaum Jemand hinter den Netzhäuten steht,…
das hattest Du heute an ganz anderer Stelle auch verwendet. Schleifen über Schleifen 🙂
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Stimmt, weil ich das Bild für sehr aussagekräftig halte. Nur ein kleiner Bruchteil der Sinneseindrücke wird bewusst wahrgenommen – und das ist aus übergeordneter Warte auch gut so. Es führt aber dazu, dass Dinge übersehen werden, die aus einer bestimmten Perspektive heraus bedeutungsvoll sein mögen.
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Das Phänomen der Brechung hier erinnert auch an dem „Brechen“ eines Stabs, der im Wasser steht.
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Vermutlich ist dieses Phänomen auch ausschlaggebend für die Namensgebung des physikalischen Effekts geworden.
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Das ist fürwahr einer der schönsten Beiträge! 😀
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Nochmals vielen Dank! Dabei hatte sich dieser Anblick fast von selbst ergeben als ein richtiges Weinglas vor einem zweifarbigen Kissen stand.
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Fast von selbst ergeben?
Da unterschätzt Du deine „physikalischen Gene“ 🙂
Wer gewohnt ist, physikalisch zu sehen, wird eben auch mehr sehen, dem entwischt so leicht nichts.
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Mag sein, dass die anschließende Inszenierung nicht nur einem ästhetischen, sondern auch einem physikaischen „Impuls“ entsprang.
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Lieber Joachim,
es zeigt einfach, daß es physikalische und optische Phänomene gibt die, die Menschheit so oft in die irre führten und führen! Das war mein erster Gedanke dazu!
Ich finde Deinen Beitrag auch super!
Dein Foto dazu, macht daß Ganze anschaulich und verständlich!
Liebe Grüße Babsi
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Danke liebe Babsi! Das Schöne ist ja, dass man dem In-die-Irre-geführt-werden sozusagen als Belohnung auch noch einen ästhetischen Reiz abgewinnen kann.
Liebe Grüße, Joachim
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