Das zierlich eingekerbt-, und nett-gezackte Laub,
Wodurch die Adern sich bis an die Ecken,
Voll klares Safts, wie Blut, erstrecken,
Ist recht verwunderlich geweb´t. Solch eine Menge
Stets wiederum aufs neu geteilter zarter Gänge
Durchflicht das ganz Blat, wodurch es sich vereint,
Und, wie ein grünes Fleisch, voll grüner Adern scheint.
Ein Blat beschattet oft das ander´, und vermehret,
Durch seine dunk´le Zierlichkeit
Der Schatten, Bildungen und Farben Unterscheid.
Brockes, Barthold, Hinrich (1680 – 1747)
Neben der ästhetischen haben diese Muster auch noch eine naturwissenschaftliche Dimension. Hierarchisch verzweigte aderförmige Gebilde spielen nicht nur in der belebten Welt eine wesentliche Rolle bei der Versorgung von Pflanzen und Tieren. Auch Fließvorgänge in der unbelebten Natur (Einzugsbereiche von Flüssen, Prilen und anderen Fließstrukturen) liegt dieses fraktale Gebilde zugrunde. Selbst künstliche Hervorbringungen des Menschen wie manche Dörfer und Städte zeigen zumindest ansatzweise denselben Aufbau. Die Naturwissenschaften haben erst seit einigen Jahrzehnten die Bedeutung der fraktalen Geometrie der Natur entdeckt und in ihren Forschungsbetrieb integriert.
Eine feine Beobachtung, dieses Gedicht!
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Das finde ich auch. Brockes versteht es wie kaum ein anderer, genaue Naturbeschreibung mit der emotionalen und ästhetischen Dimension zu verbinden.
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Weiß man (innerhalb, oder gemessen mit, der physikalisch-wissenschaftlichen Logik) bereits, ob Fraktale
– exakt (bzw. muster-)reproduzierende Wiederholungen sind?
– Oder nur/eher (formale?) Ähnlichkeiten, mit kleineren (emergenten?) Abweichungen/Unterschieden?
Ähnlichkeiten, die also nicht auf automatische Dauerwiederholung eingestellt sind?
Kleine Unterschiede (als Zeichen eines Potenzials für Abweichung), die sich vielleicht zu größeren Unterschieden/chaotischer Ungewissheit oder anderem Nichtvorhersagbaren entwickeln (bzw. sich dem Menschen in seiner zeitlichen Perspektive in zeitlich vermittelter Entpuppung/Bildenthüllung zeigen).
Wie ist denn da der Stand der Physik?
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Da sich Fraktale Gebilde nie bis aufs Haar gleichen, sondern einander „nur“ strukturell ähneln, sowie sie sich als Ganzes den eigenen Teilen ähneln (Selbstähnlichkeit), gibt es keine Strukturidentitäten. Aus der Sicht der klassischen Physik sind sie daher keine beschreibbaren physikalischen Gegenstände. Im Rahmen der fraktalen Geometrie der Natur gibt es aber ein Maß, mit dem die (Selbst-) Ähnlichkeit solcher Gebilde erfasst werden kann. Das ist die fraktale Dimension, eine zwischen den bekannten euklidischen Dimensionen (1 für Länge, 2 für Fläche und 3 für Volumen) liegende gebrochene Dimension, mit der gewissermaßen das „Gattungsmäßige“ der Strukturen erfasst wird. Damit ist allerdings ein neues physikalisches Denken verbunden, das leider trotz seiner Attraktivität bislang kaum einen Eingang in die Schulphysik gefunden hat. Wenn Sie dazu Genaueres wissen wollen, schauen sie sich doch die Beiträge „Schöne fraktale Welt...“ und „ Auf der Grenze…“ in diesem Blog an. Dort habe ich in den angehängten Dokumenten versucht, die Problematik einigermaßen anschaulich zu erklären.
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Grenzbereiche und Gleichzeitigkeiten (wie es vielleicht die Ähnlichkeit ist — als zwischen Unterschiedlichkeit und Gleichheit liegend bzw. interpretierbar/offen formulierbar) finde ich derzeit sehr interessant. Danke für die Lesevorschläge.
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Ja, das ist ein ebenso interessanes wie unerschöpfliches Thema.
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