Ich bin immer wieder gefragt worden, woher ursprünglich der Begriff „Schwert der Sonne“ für die Lichtbahnen auf dem Meer stammt, die vor allem über die Darstellung auf vielen Postkarten vom Urlaub am Meer eine gewisse Verbreitung erfahren haben. Kaum ein anderes physikalisches Naturphänomen ist so bekannt. Der Ursprung dürfte in der Geschichte „Das Schwert der Sonne“ in dem kleinen Band „Herr Palomar“ von Italo Calvino (1923 – 1985) liegen. Jedenfalls habe ich mich von diesem Ausdruck inspirieren lassen und ihn in einer früheren Arbeit übernommen: „Das Schwert der Sonne I“ und „Das Schwert der Sonne II“ . Weitere Beiträge zu dieser Thematik findet man hier und hier und hier und hier. Meine Recherchen zeigen, dass vor dieser Arbeit der Begriff in Texten über physikalische Naturphänomene nicht vorkommt. Danach fand er immer größere Verbreitung. Hier also einige Textausschnitte aus „Herr Palomar“:
Der Reflex auf dem Meer entsteht, wenn die Sonne sich neigt: Vom Horizont her schiebt sich ein blendender Fleck zum Ufer, ein Streifen aus tanzenden Glitzerpunkten; dazwischen verdunkelt das Mattblau des Meeres sein Netz. Die weißen Boote werden im Gegenlicht schwarz, verlieren an Konsistenz und Volumen, erscheinen wie aufgesogen von jener glitzernden Sprenkelung.
Um diese Zeit mach sich Herr Palomar, der ein Spätling ist, an sein Abendschwimmen. Er geht ins Wasser, löst sich vom Ufer, und der Sonnenreflex auf dem Meer wird ein schimmerndes Schwert, das sich vom Horizont heran bis zu ihm erstreckt. Herr Palomar schwimmt in dem Schwert oder besser gesagt, das Schwert bleibt immer vor ihm, bei jedem seiner Schwimmstöße weicht es zurück und ist nie zu erreichen. Wohin er die Arme auch wirft, überall nimmt das Meer seine abendlich dunkle Färbung an, die sich hinter ihm bis zum Ufer erstreckt.
Während die Sonne tiefer sinkt, färbt der Reflex sich von schimmerndem Weiß zu kupfergoldenem Rot. Und wohin Herr Palomar sich auch wendet, stets ist er selber die Spitze des schlanken Dreiecks. Das Schwert folgt ihm und deutet auf ihn wie ein Uhrzeiger mit der Sonne als Zapfen…
Ein Gruß, den die Sonne mir ganz persönlich entbietet…
Das alles geschieht gar nicht auf dem Meer, auch nicht in der Sonne…sondern nur in meinem Kopf… Ich schwimmme in meinen Gedanken, nur dort existiert dieses Schwert aus Licht…
Das Schwert existiert nur, weil er da ist…
Wie erleichtert er wäre, wenn es ihm gelänge, sein partielles und zweifelndes Ich in der Gewißheit eines generellen Prinzips aufzulösen! Eines einzigen absoluten Prinzips aus dem sich alle Taten und Formen herleiten? (Italo Calvino: Herr Palomar. München 1988).
Die obige Aufnahme wurde von der Baleareninsel Formentera aus gemacht. Im Hintergrund sieht man die weithin sichtbare kleine Felseninsel Es Vedrà in der Nähe von Ibiza.
„The Word is mightier than the Sword.“ (Sprichwort)
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Stimmt! Wörtlich genommen, könnte das im vorliegenden Fall leicht selbstbezüglich werden, zumal das Schwert der Sonne stets auf den Beobachter gerichtet bleibt.
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