Nach einer längeren Autorensitzung saßen wir endlich beim wohlverdienten Abendessen. Jemand hatte ein neues Buch über den Regenbogen dabei und zitierte eine Stelle, die einem Kollegen suspekt erschien. Physiker sind von Natur aus skeptisch. Daher wollte er die Textstelle selbst lesen; dazu war ihm allerdings die Schrift zu klein. Jedenfalls gab er es vor. Physiker sind aber auch (manchmal) einfallsreich: Die Buchseite wurde direkt hinter ein Glas mit Wasser gehalten, wodurch die Schrift so stark vergrößert wurde, dass er sein Argument nicht mehr aufrecht erhalten konnte. Zwar war der Text nur in der Mitte (achsennahe Lichtstrahlen) unverzerrt zu lesen, aber auf Perfektion kam es in dieser Situation nicht an, auch wenn Physiker oft zur Perfektion neigen. Der Kollege las und musste sich geschlagen geben.
Ein gefülltes Weinglas ist eine Sammellinse. Wenn man durch es auf entfernte Gegenstände blickt, (außerhalb der doppelten Brennweite) erscheinen diese verkleinert, auf dem Kopf stehend und seitenverkehrt. Wenn man auf einen Gegenstand dicht hinter dem Glas blickt (innerhalb der einfachen Brennweite), erscheint es richtig herum und vergrößert. In diesem Fall fungiert das Weinglas als Lupe. Die Lupe ist zwar nicht perfekt, weil das Weinglas nicht zum Lesen optimiert wurde. Sphärische und chromatische Aberrationen (Abirrungen) müssen in Kauf genommen werden. Sie zeigen sich hier zum Rande des Glases hin in der Deformation der Schrift verbunden mit farblichen Effekten.
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