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Physik im Alltag und Naturphänomene, Physik und Kultur

Eisregen – im Kristallpalast der Natur

eisregen_1_rvWer ihn schon einmal erlebt hat wird ihn nie vergessen, den Eisregen. Sieht man einmal von den negativen Aspekten für Mensch, Tier und Pflanzen ab, so kann man sich der zauberhaften Wirkung der in Eisregen erstarrten Natur kaum entziehen. Besonders eindrucksvoll ist das Glitzerwerk in Eis eingehüllter Dinge besonders dann, wenn nach dem gefrierenden Regen die Sonne scheint.

eisregen_2_rvWie kommt es zu Eisregen? Eine der wesentlichen Voraussetzungen für Eisregen ist, dass im Winter eine bodennahe kalte Luftmasse meist infolge einer sich nähernden Warmfront von wärmerer Luft überlagert wird. Wenn es in dieser Situation zu Niederschlägen kommt, werden die aus den Wolken fallenden Schneeflocken in der warmen Luft zunächst zu Regentropfen geschmolzen, die beim Eintauchen in die Kaltluftschicht am Boden wieder abgekühlt. Wenn die Luft sehr rein ist und Kristallisationskeime zum Gefrieren der Regentropfen fehlen, können diese weit unter null Grad abgekühlt werden. Wenn sie dann aber in Kontakt mit einem festen Gegenstand kommen, wirkt dieser als Kristallisationskeim, sodass das Wasser augenblicklich erstarrt und den Gegenstand mit einer mit jedem weiteren Tropfen wachsenden Eisschicht umgibt.
Von diesem Eisregen im engeren Sinne zu unterscheiden ist der gefrierende Regen. Dabei sind die Regentropfen zwar nicht unterkühlt, sie gefrieren aber ebenfalls beim Auftreffen auf beliebige Gegenstände, weil diese sehr kalt sind und die Tropfen zum Gefrieren bringen. Die Wirkung ist also eine ähnliche wie beim Eisregen und wird mit diesem daher auch oft verwechselt.

Es gibt zahlreiche Berichte über Eisregen. Am eindrucksvollsten finde ich immer noch die Schilderung von Adalbert Stifter (1805 – 1868) der in einer Mischung aus sachlicher Darstellung und bildhafter Sprache die Situationen auch für die heutigen Menschen auf einzigartige Weise einzufangen versteht.
eisregen_4_rv„Der Hut des Thomas war fest, sein Mantel krachte, da er abstieg, auseinander, und jede Stange, jedes Holz, jede Schnalle, jedes Teilchen des ganzen Schlittens, wie wir ihn jetzt so ansahen, war in Eis, wie in durchsichtigen, flüssigen Zucker, gehüllt, selbst in den Mähnen, wie tausend bleiche Perlen, hingen die gefrornen Tropfen des Wassers, und zuletzt war es um die Hufhaare des Fuchses wie silberne Borden geheftet. (…)
Unter dem Obstbaumwalde des Karhauses, den der Bauer sehr liebt und schätzt, und der hinter dem Hause anhebt, lagen unzählige kleine schwarze Zweige auf dem weißen Schnee, und jeder schwarze Zweig war mit einer durchsichtigen Rinde von Eis umhüllt und zeigte neben dem Glanze des Eises die kleine frischgelbe Wunde des Herabbruchs. Die braunen Knösplein der Zweige, die im künftigen Frühlinge Blüten- und Blätterbüschlein werden sollten, blickten durch das Eis hindurch. Wir setzten uns in den Schlitten. Der Regen, die graue Stille und die Einöde des Himmels dauerten fort. (…)
eisregen_5_rvAn den Zäunen, an den Strunken von Obstbäumen und an den Rändern der Dächer hing unsägliches Eis. An mehreren Planken waren die Zwischenräume verquollen, als[538] wäre das Ganze in eine Menge eines zähen Stoffes eingehüllt worden, der dann erstarrte. Mancher Busch sah aus wie viele in einander gewundene Kerzen, oder wie lichte, wässerig glänzende Korallen.
Ich hatte dieses Ding nie so gesehen wie heute.eisregen_6_rv
Die Leute schlugen manche der bis ins Unglaubliche herabgewachsenen Zapfen von den Dächern, weil sie sonst, wenn sie gar groß geworden waren, im Herabbrechen Stücke der Schindeln oder Rinnen mit sich auf die Erde nahmen. Da ich in der Dubs herum ging, wo mehrere Häuser um den schönen Platz herum stehen, den sie bilden, sah ich, wie zwei Mägde das Wasser, welches im Tragen hin und her geschwemmt haben würde, in einem Schlitten nach Hause zogen. Zu dem Brunnen, der in der Mitte des Platzes steht, und um dessen Holzgeschlacht herum schon im Winter der Schnee einen Berg gebildet hatte, mußten sie sich mit der Axt Stufen hinein hauen. Sonst gingen die Leute gar nicht aus den Häusern, und wo man doch einen sah, duckte er oben mit dem Haupte vor dem Regen in sein Gewand, und unten griff er mit den Füßen vorsichtig vorwärts, um in der unsäglichen Glätte nicht zu fallen. (…)
Auf dem Raine sahen wir einen Weidenbaum gleißend stehen, und seine zähen, silbernen Äste hingen herab, wie mit einem Kamme nieder gekämmt. Den Waldring, dem wir entgegen fuhren, sahen wir bereift, aber er warf glänzende Funken und stand wie geglättete Metallstellen von dem lichten, ruhigen, matten Grau des Himmels ab. (…)
Wir sahen vor uns eine sehr schlanke Fichte zu einem Reife gekrümmt stehen und einen Bogen über unsere Straße bildend, wie man sie einziehenden Kaisern zu machen pflegt. Es war unsäglich, welche Pracht und Last des Eises von den Bäumen hing. Wie Leuchter, von denen unzählige umgekehrte Kerzen in unerhörten Größen ragten, standen die Nadelbäume. Die Kerzen schimmerten alle von Silber, die Leuchter waren selber silbern, und standen nicht überall gerade, sondern manche waren nach verschiedenen Richtungen geneigt. Das Rauschen, welches wir früher in den Lüften gehört hatten, war uns jetzt bekannt; es war nicht in den Lüften; jetzt war es bei uns. In der ganzen Tiefe des Waldes herrschte es ununterbrochen fort, wie die Zweige und Äste krachten und auf die Erde fielen.
eisregen_img_5894arvEs war um so fürchterlicher, da alles unbeweglich stand; von dem ganzen Geglitzer und Geglänze rührte sich kein Zweig und keine Nadel, außer wenn man nach einer Weile wieder auf einen gebogenen Baum sah, daß er von den ziehenden Zapfen niederer stand. Wir harreten und schauten hin – man weiß nicht, war es Bewunderung oder war es Furcht, in das Ding hinein zu fahren. Unser Pferd mochte die Empfindungen in einer Ähnlichkeit teilen, denn das arme Tier schob, die Füße sachte anziehend, den Schlitten in mehreren Rucken etwas zurück.(…)
Da wir endlich gegen den Thaugrund kamen und der Wald, der von der Höhe herüber zieht, anfing, gegen unsern Weg herüber zu langen, hörten wir plötzlich in dem Schwarzholze, das auf dem schön emporragenden Felsen steht, ein Geräusch, das sehr seltsam war, und das keiner von uns je vernommen hatte – es war, als ob viele Tausende oder gar Millionen von Glasstangen durcheinander[540] rasselten und in diesem Gewirre fort in die Entfernung zögen.“

Adalbert Stifter: Gesammelte Werke. Novellen I. Die Mappe meines Urgroßvaters. München 1982

 

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Diskussionen

2 Gedanken zu “Eisregen – im Kristallpalast der Natur

  1. Sehr interessanter historischer Text und tolle Bilder!

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    Verfasst von ch | 8. Februar 2017, 17:34

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