Schlichting, H. Joachim. Spektrum der Wissenschaft 4 (2017), S. 74 – 77
Radfahren kommt
dem Flug der Vögel am nächsten
Louis J. Halle (1910–1998)
Kein Tier setzt Energie so effizient zur Fortbewegung ein wie ein Mensch. Sofern er Fahrrad fährt!
Das erste Zweirad von 1817 war zwar noch ein Laufrad ohne Pedalantrieb. Doch bereits damit war sein Erfinder Karl von Drais schneller als die Postkutsche – und erst recht, als es zu Fuß möglich gewesen wäre. Mit heutigen Alltagsfahrrädern ist ein durchschnittlicher Erwachsener leicht viermal so flott unterwegs wie beim zügigen Gehen. Radelnd nutzt der Mensch seine Muskelenergie also wesentlich effektiver. Rein physikalisch lässt sich diese Fortbewegungsart untersuchen und mit anderen vergleichen, indem man die Leistung eines Radlers betrachtet. Sie ergibt sich aus dem Produkt der Fahrgeschwindigkeit und der Summe der diversen Widerstandskräfte, die er überwinden muss.
Sie entstehen vor allem zwischen den Reifen und dem Untergrund sowie bei Wechselwirkungen mit der umgebenden Luft. Durch den Boden erfährt der Radler den so genannten Rollreibungswiderstand. Dieser ist proportional zur gesamten Gewichtskraft von ihm und seinem Gefährt und weitgehend unabhängig von der Geschwindigkeit. Man drückt die Proportionalität daher durch eine Konstante aus, die von der jeweiligen Reibung zwischen Reifen und Straßenbelag abhängt: den Reibungskoeffizienten μ. Die Oberfläche der Fahrbahn muss man hinnehmen, kann indes durch die Wahl passender Reifen μ durchaus verbessern.
Da die Rollreibung außerdem proportional zur Gewichtskraft ist, vermindert eine geringere Masse des Radlers seine Mühen. Dann hätte er es zudem bei Steigungen entsprechend einfacher. Leichtbaumaterialien helfen zwar ein wenig, aber da hauptsächlich der Fahrer selbst zur Gesamtmasse beiträgt, ist die wesentlich günstigere Strategie, öfter aufs Rad zu steigen – und dadurch abzunehmen. Lediglich im Rennsport, wo es um Zehntelsekunden geht, lohnt es sich, technisch jedes überflüssige Gramm kostspielig einzusparen.
In die konstante Größe der Rollreibungskraft bezieht man meist stillschweigend die Reibungsverluste mit ein, die beim Übertragen der Muskelenergie auf das Antriebsrad auftreten, denn auch dieser Anteil hängt kaum von der Geschwindigkeit ab. Die Verluste in den Tretkurbeln, der Kette und den Lagern der modernen Fahrräder sind ohnehin verhältnismäßig klein; der Wirkungsgrad liegt hier bei 90 bis 95 Prozent. Das ist vor allem den Kugellagern zu verdanken, die verlust- und verschleißreiches Gleiten durch Energie sparendes Rollen ersetzen. Ihre Erfindung in der Mitte des 19. Jahrhunderts hat der Entwicklung des Fahrrads einen deutlichen Schub gegeben.
Wäre die Rollreibung der einzige zu überwindende Fahrwiderstand, könnte man ein Schwindel erregendes Tempo erreichen. Beispielsweise schaffte der Niederländer Fred Rompelberg 1995 mit einem Spezialrad im Windschatten eines Rennwagens eine Höchstgeschwindigkeit von 268,8 Kilometern in der Stunde. Ein typischer Wert für die Rollreibungskraft bei einem Fahrrad liegt bei fünf Newton. Legt man diesen Wert zu Grunde, so hätte Rompelberg eine Spitzenleistung von rund 370 Watt auf das Rad übertragen. Damit wären unter normalen Bedingungen nur etwa 40 Kilometer in der Stunde möglich (siehe »Erzielte Leistung in Abhängigkeit von der Geschwindigkeit«, rechts). Der Unterschied liegt am Einfluss der Luftreibung, die bei höheren Geschwindigkeiten klar dominiert. Die Luftwiderstandskraft ist nämlich proportional zum Quadrat der Geschwindigkeit; sie steigt unter sonst gleichen Bedingungen bei doppelter Geschwindigkeit auf den vierfachen Wert… (Fortsetzung siehe pdf).
Dieser Beitrag ist erschienen anlässlich der Erfindung des ersten Fahrrads im Jahre 1817 von Karl von Drais.
Sonderdruck kann beim Autor angefordert werden (schlichting@uni-muenster.de).
Sehr interessanter Bericht. Ich fahre jeden Tag mit dem Rad in die Arbeit. Für mich ist der lästigste Widerstand immer der Wind, wenn er aus der falschen Richtung weht. Bläst er mir dagegen in den Rücken, meine ich fast zu fliegen.
Edgar
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Du hast Recht, wenn der Wind von hinten kommt ist nur fliegen schöner. Und wenn er von vorn kommt, tröste ich mich damit, dass man statistisch gesehen in der Stadt mit dem Fahrrad immer noch schneller ist als mit dem Auto. Die Durchschnittsgeschwindigkeit liegt für das Auto unter 5 km/h, wenn man Wege zum Parkhaus, Staus etc. mit einbezieht. In diesem Sinne, bleib dem Rad treu! Gruß, Joachim.
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Sehr schöner und interessanter Artikel! Ich hatte schon gedacht, es läge an meiner fehlenden Kondition nach dem Winter, wenn ich wie eine lahme Ente durch die Gegend strample, dabei ist die Luft schuld. Die leistet Widerstand! Unerhört! 😀
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Vielen Dank! Gab es da nicht einen „lockern Ältervater“, der schon mal den Kampf gegen die Luft aufnahm, allerdings qua Windmühlenflügel. Auch der spürte bereits Widerstand und hat sich dennoch nicht beirren lassen. 🙂
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