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Marginalia, Physik im Alltag und Naturphänomene

Wie heilig ist der Heiligenschein?

Heiligenschein_lampe_2Als ich die Fotos einen Freund zeigte, staunte er über die Stärke meiner Taschenlampe. Er hatte im ersten Moment wirklich geglaubt, dass die abgebildete Person das Feld mit einer Lampe ausleuchtet. Die Abbildung der Person besteht allerdings aus deren Schatten und die Lampe ist die kürzlich aufgegangene Sonne: In Zusammenarbeit mit dem Frühtau auf den Pflanzen führt sie hier zu einem interessanten Lichtphänomen, dem Heiligenschein, der den Schattenkopf umkränzt.
Heiligenschein_Lampe_1Um diesen Heiligenschein zu sehen, lohnt es sich an einem sonnigen Tag früh aufzustehen und den eigenen Schatten auf dem noch vom Tau bedeckten Gras oder anderen Pflanzen zu betrachten. Je nach den herrschenden Bedingungen wird sie oder er dann durch diese mehr oder weniger deutliche Aufhellung um den Schatten des eigenen Kopfes belohnt. Wer eine Partnerin oder einen Partner dabei hat, wird außerdem feststellen, dass sie oder er keinen Heiligenschein trägt.
Als aufgeklärte und demokratisch denkende Menschen wird man daraus nicht auf die eigene Auserwählung schließen und sich für heilig halten. Die Scheinheiligkeit eines solchen Schlusses würde spätestens dann auffliegen, wenn man feststellt, daß wenn hier schon einer heilig ist, dann die Kamera. Das untere Foto zeigt eindeutig den Schein um die Kamera herum. Und auf dem oberen Foto sieht es nur deshalb so aus, als würde er unseren Schattenkopf umgeben, weil wir die Kamera vor das Auge gehalten haben.
Wir haben es hier also mit einer merkwürdig erscheinenden Verquickung von beobachtendem Subjekt und beobachtetem Objekt zu tun, die auf den ersten Blick als mystisch erscheinen mag und dazu angetan ist, uns auch oder vielmehr vor allem aus physikalischer Sicht zu irritieren. Das Ganze will nicht so recht zu unserer Überzeugung passen, daß Subjekt und Objekt klar voneinander zu trennen sind. Beim Heiligenschein zeigt sich, dass der Beobachter offenbar mit zum „Versuchsaufbau“ gehört, der die Erscheinung hervorbringt. Beruhigt wirkt da die Kenntnis, daß der Beobachter gar kein Subjekt sein muss, wie der Einsatz der Kamera zeigt. An dieser Stelle hilft es vielleicht, sich an andere optische Phänomene, wie etwa die Lage eines Spiegelbildes, die Wahrnehmung des Regenbogens und des Schwertes der Sonne zu erinnern, die ebenfalls von der Lage des Beobachters bzw. des registrierenden Systems abhängen. Wenn man sich das so richtig klarmacht, erweist sich der Heiligenschein als bloßer Schein. Schade eigentlich.

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Diskussionen

12 Gedanken zu “Wie heilig ist der Heiligenschein?

  1. Ach – welch eine Desillusionierung 😉…

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    Verfasst von ele21 | 7. Mai 2017, 13:36
    • Angesichts der Tatsache, dass viele Menschen dieses Phänomen nicht einmal bewusst wahrnehmen, liegt schon ein gewisser Zauber darin, seinem Heiligenschein an frühen Morgen zu begegnen und ein Stück weit über eine feuchte Wiese von ihm begleitet zu werden. Zu erfahren, dass da die Sonne und Tautröpfchen im Spiel sind, tut m.E. dem Erlebnis keinen Abbruch.

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      Verfasst von Joachim Schlichting | 7. Mai 2017, 13:51
  2. d.h nur wenn man eine Kamera dabei hat, gibts ein H.Schein? Nur warum das so ist, „leuchtet“ mir immer noch nicht ein. Oder sieht die Kamera mehr (anders), als wir nur mit den Augen sehen.?

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    Verfasst von Malabar | 9. Mai 2017, 22:30
    • Es ist so ähnlich wie beim Spiegelbild. Wenn ich von einer bestimmten Position aus in den Spiegel blicke, sehe ich etwas anderes als Jemand, der gleichzeitig und daher aus einem etwas anderen Blickwinkel die im Spiegel abgebildeten Gegenstände sieht. Die Kamera ist da keine Ausnahme. Sie ist allerdings insofern von Bedeutung, als ein Foto, mit dem der Heiligenschein dokumentiert wird, natürlich nur ihren Blickwinkel aufweist. Wenn man die Kamera vor das Auge hält, ist dies auch der Blickwinkel der Person.
      Um genau zu verstehen, dass der Heiligenschein nur den Schattenkopf des Betrachters umgibt, muss man sich klarmachen, dass das Phänomen hauptsächlich dadurch zustande kommt, dass Licht z.B. von der Sonne, von den Tröpfchen auf feuchten Wiese ungefähr in Richtung der Sonne zurückgestrahlt wird. Da ist dann zwangsläufig der Kopfschatten des Betrachters (Schatten der Kamera) im Wege. Aber da eine gewisse Streuung um die exakte Rückwärtsrichtung auftritt, sieht man auch noch Lichtstrahlen ganz in der Nähe des Kopfschattens.
      (Genaueres ist zum Beispiel hier nachzulesen).

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      Verfasst von Joachim Schlichting | 10. Mai 2017, 08:42
      • Verstehe ich richtig, dass jedes Ding, das dem Licht in die Quere kommt, ein Heiligenschein umgibt, nur dass das Ding es nicht wwahrnehmen kann, alldieweil es keine Augen hat? Darf ich mir also vorstellen, dass die Welt, sofern ich über eine feuchte Wiese gehe, die von hohen Bäumen und Zäunen begrenzt ist, von vielen vielen Heiligenscheinen überflutet ist? Und wenn ich mich richtig positioniere, könnte ich auch den einen und anderen Heiligenschein auffangen? (Hier gibt es leider keine feuchten Wiesen…. so muss ich dich fragen)

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        Verfasst von gkazakou | 10. Mai 2022, 12:16
      • Ja, so ist es. Wenn ich an die jeweilen Stellen eine Kamera positionierte, würde sie um ihren Schatten einen hellen Schein aufnehmen. Interessant wird die Frage, ob ein Heiligenschein schon dann einer ist, wenn ich ihn mir nur vorstelle. Denn nur dann gibt es sie im Plural. Das führt in physilosphische Gefilde…

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        Verfasst von Joachim Schlichting | 10. Mai 2022, 12:33

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