Schlichting, H. Joachim. In: Spektrum der Wissenschaft 7 (2017), S. 70 – 71
Das Sein ist eine aus lauter Knoten
bestehende Linie
Friedrich Hebbel (1813–1863)
Egal, wie fest man die Schleife bindet, irgendwann öffnet sich beim Laufen jeder Knoten. Das geschieht meist innerhalb weniger Schritte, wenn sich unscheinbar kleine Effekte plötzlich katastrophal aufschaukeln.
Kinder können viele Schuhe bequem mit Klettverschlüssen selbst fixieren, doch niemand kommt umhin, irgendwann einmal das Binden einer Schleife zu lernen. Dazu windet man die straff gezogenen Schnürsenkel zunächst einmal umeinander. Bei diesem ersten Halbknoten reicht die Reibungskraft zwischen den Bändern aber noch nicht aus. Darum knüpft man einen zweiten Halbknoten gegen den ersten und presst beide Bänder durch Ziehen zusammen. Damit das Konstrukt einfach wieder gelöst werden kann, legt man deren Enden zuvor in eine Schlaufe. In der Knotenkunde sagt man auch, man legt den Knoten »auf Slip«.
Den meisten ist beim Schuhbinden wohl kaum bewusst, dass es für die Verknüpfung topologisch gesehen zwei Möglichkeiten gibt. Zum einen kann man links über rechts und dann rechts über links führen. Das ergibt einen so genannten Kreuzknoten (siehe Fotos …). Möglich ist aber auch, zweimal links über rechts zu legen; dann erhält man eine äußerlich ganz ähnliche Variante, die als falscher oder Altweiberknoten bezeichnet wird und weniger dauerhaft ist.
Die Windung hat physikalische Konsequenzen, denn sie drückt die Bänder unter Zug aneinander. Dadurch wird die Reibungskraft größer – umso mehr, je größer der Winkel der Bänder relativ zueinander wird. Das kennt man beispielsweise vom Festmachen eines Schiffs an einem Poller. Erstaunt erlebt man hier, wie ein einzelner Mensch ein schweres Boot halten kann, nur weil das Seil um den Pfosten geschlungen ist. Die Reibungskraft nimmt sogar exponentiell mit dem Winkel zu, und dieser wächst mit jeder Umwindung um 360 Grad.
Ein Knoten zeichnet sich topologisch also durch ausgeprägte Winkeländerungen der miteinander verknüpften Bänder aus. Eine entsprechend große Reibung ist im Spiel. Zieht man beim Schuh an den Schlaufen, werden die Schnürsenkel immer stärker aneinandergedrückt, bis es zu einer Selbsthemmung kommt, die jegliche weitere Bewegung unmöglich macht. Der Knoten ist fertig.
Doch was hält ihn zusammen, sobald von außen keine Zugkräfte mehr wirken? …
So lebensnah wie nur möglich 🙂
Joachim, kann ich Dich ums PDF bitten? Du kannst ja diesen Teil mit der Bitte löschen.
Ich dank Dir!
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Gerne, ist schon unterwegs.
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