Im Frühtau findet man die Blätter von Pflanzen häufig mit winzigen Tröpfchen besetzt: Tautropfen. Sie entstehen dadurch, dass durch die Abkühlung in der Nacht der Taupunkt unterschritten wird: Weil die maximale Feuchtigkeit mit der Temperatur abnimmt, wird sie kleiner als die absolute Feuchtigkeit, sodass der überschüssige Wasserdampf zu kleinen Tröpfchen kondensiert.
Manchmal sieht man jedoch Blätter, die nur an den Spitzen und Enden mit Tropfen besetzt sind. Diese Tröpfchen kommen – man höre und staune – aus dem Innern des Blattes. Um das zu verstehen, muss man sich den Wasserhaushalt der Pflanzen etwas genauer ansehen.
Normalerweise geben Laubblätter Wasser in Form von Wasserdampf an die Umgebung ab. Diese Transpiration treibt einen der beiden wesentlichen Mechanismen des Wassertransports der Pflanze an. Durch die Verdunstung entsteht ein Unterdruck, durch den das Wasser in der Pflanze aus den im feuchten Erdreich gründenen Wurzeln hoch“gepumpt“ wird. Der andere Mechanismus ist der Wurzeldruck. Er kommt im Wesentlichen dadurch zustande, dass das im Boden gespeicherte Wasser sich mit dem in dem Wurzeln vorhandenen Pflanzensaft vermischen „möchte“. Da die Wurzelwände nur selektiv durchlässig sind, kann zwar das nur in geringer Konzentration gelöste Stoffe enthaltene Bodenwasser in die Wurzeln eindringen, der konzentrierte Saft der Pflanze kann aber nicht heraus. Daher kann eine Mischung nur dadurch realisiert werden, dass das Wasser aus dem Erdreich in die Wurzeln eintritt. Es entsteht also ein (osmotischer) Druck, durch den das bereits durch die Verdunstung „gezogene“ Wasser noch zusätzlich in die Pflanze hineingedrückt wird.
Es besteht so etwas wie eine durchgehende Flüssigkeitssäule, die in dem Maße die Pflanze durchquert, wie Wasser durch die Spaltöffnungen in den Blättern verdunstet. Den durch die Verdunstung bedingten Transpirationssog kann man sich analog dem Sog vorstellen, den man beim Trinken mit dem Strohhalm erzeugt. In dem die Pflanze durchquerenden Saft sind zahlreiche Stoffe gelöst, die von der Pflanze zum Leben und Wachsen genutzt werden.
Wenn allerdings durch eine sinkende Temperatur oder aus anderen Gründen die relative Luftfeuchte sehr groß wird, sodass etwa genauso viel Wasserdampf kondensiert wie verdunstet, kann die Transpiration zum Erliegen kommen.
Da der Wurzeldruck im Allgemeinen weiter wirkt, könnte im Prinzip die Versorgung der Pflanze mit entsprechenden Einschränkungen weiter aufrecht erhalten werden. Allerdings muss das überschüssige Wasser auch wieder abgeführt werden. Viele Pflanzen sorgen in dieser Situation durch einen besonderen Mechanismus dafür, dass das überschüssige Wasser anderweitig abgegeben wird. Über besondere Spaltöffnungen an den Blattspitzen und –enden (Hydathoden) sondern sie Wasser in Form von Tropfen ab (Guttation, von goutte (frz.) = Tropfen), die dann ab einer bestimmten Größe vom Blatt abfallen.
Die Guttation bewirkt also einerseits, dass die Wasserbilanz ausgeglichen bleibt. Andererseits kann durch diesen Ausgleich die Versorgung mit Nährstoffen aus dem Boden und damit der Stoffwechsel zumindest in eingeschränktem Umfang aufrechterhalten werden. Denn der Gasaustausch durch die Blätter mit der Umgebung (Sauerstoff und Kohlenstoffdioxid) muss ja nicht von der unterbundenen Transpiration betroffen sein.
Da die Guttation vor allem an warmen Tagen nach starkem Regen auftritt, treten die Tropfen oft gemeinsam mit Regentropfen auf. Die durch Guttation hervorgebrachten Tropfen lassen sich durch eine Geschmacksprobe von Regentropfen unterscheiden, denn in den Guttationstropfen sind pflanzliche Säfte gelöst. Häufig anzutreffen sind die Guttationstropfen z.B. bei Kapuzinerkresse, Frauenmantel und dem Schachtelhalm.
Physikalisch interessant an diesen Vorgängen ist insbesondere die Tatsache, dass der Stoffwechsel der Pflanzen durch die universelle Tendenz der Natur „angetrieben“ wird, mit der Stoffe sich gleichmäßig über den im Prinzip zur Verfügung stehenden Raum verteilen „möchten“. Beim Verdunsten streben die Wassermoleküle dazu, sich in der Atmosphäre zu verteilen und beim Mischen des Bodenwassers und des Pflanzensafts tendieren beide Flüssigkeiten dazu, sich gleichmäßig zu verteilen, um eine einheitliche Konzentration anzunehmen. Letztlich sind diese Tendenzen spezielle Beispiele für den 2. Hauptsatz der Thermodynamik, wonach alle natürlichen Prozesse auf das thermodynamische Gleichgewicht zustreben.
schön erklärt. Diese Woche fand ich morgens so faszinierend, das in den senken der Täler, auf den weiden der Frühnebel noch stand.
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Danke! Angesichts des Morgennebels habe ich manchmal den Eindruck, als würde der allzu schnelle Übergang von der Dämmerung zum hellen Tag etwas herabgemildert, sodass der Beginn eines neuen Tags etwas bewusster erlebt werden kann.
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wenn ich bei Hitze im Garten werkle und mir die Schweißtropfen von der Stirn ploppen
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In der Tat sind die Schweißtropfen, die unverrichteter Dinge im Überfluss „von der Stirn ploppen“ auch ein Zeichen einer überflüssigen Flüssigkeit. Denn eigentlich ist der Schweiß dazu da, verdunstet zu werden und die dazu nötige Energie dem Körper zu entziehen und diesen dadurch abzukühlen. Aber oft wird mehr Schweiß produziert als verdunstet werden kann.
Bei der Guttation wird ebenfalls überflüssiger Saft abgegeben, weil er aus bestimmten Gründen nicht verdunstet werden kann. Der Unterschied zwischen beiden Vorgängen besteht jedoch darin, dass es beim Schwitzen nur auf die Kühlung des Organismus ankommt und der Schweiß nichts mit den Stoffwechselvorgängen zu tun hat wie bei der Pflanze.
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scheint mir das auch so was zu sein ??
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Äußerst interessanter Aufsatz
Edgar
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Danke lieber Edgar, das war mit bis dahin auch nicht bekannt. Gruß, Joachim.
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An warmen Tagen nach starkem Regen sollte ich also prüfen, ob die Tröpfchen auf der Fetthenne eigenartig schmecken.
Ich dachte doch bisher immer, das Wasser des Regens sei in den „Kammern“ der Fetthenne sozusagen gefangen.
Dieser Artikel ist sehr fein, muß ich nochmals lesen.
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Ob die Fetthenne eine Pflanze ist, die zur Guttation neigt, weiß ich nicht. Das müsste man prüfen. Dass es Reste vom Regen sind, kann man daher nicht ausschließen. Die Geschmacksprobe wäre in der Tat eine Möglichkeit, dies zu überprüfen.
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Bei deinem letzten Foto würde ich umgangssprachlich (und ohne entspr. Wissen“ sagen: „Die Blätter schwitzen“.
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So ganz abwegig ist dieser Eindruck ja auch nicht. Immerhin kommen die Tropfen wie die Schweißtropfen ja auch von innen.
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Mutter Natur ist schon clever und einfallsreich…
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Letzlich sind wir ja auch nur ein Teil dieser Natur und damit nicht „intelligenter“ als diese…
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