Schlichting, H. Joachim. Naturwissenschaften im Unterricht Physik 159/160 (2017) S. 74 – 75
„In der Hitze flimmerte die Luft über dem graublauen Asphalt, in genügend großer Entfernung wurde das Band zu einem Spiegel, die Materie verflüssigte sich zu einem See, in dem sich die Karosserien und Bäume spiegelten. Er schob dieses Feld, wo Urbild und Abbild auseinanderflossen, vor sich her, und ihm war, als sei die schimmernde Fläche mit der Mitte seines Körpers verbunden“ (Bornholm, Nicolaus. America oder Der Frühling der Dinge Frankfurt 1980). Mit diesen Worten beschreibt der Schriftsteller Nicolaus Bornholm ein Phänomen, das als Luftspiegelung oder – vorwiegend in seiner komplexen Form – auch als Fata Morgana bezeichnet wird. Weil die damit einhergehenden oft merkwürdig erscheinenden Gestaltänderungen in früheren Zeiten nicht rational erklärt werden konnten, suchte man die Ursachen für dieses Phänomen im Bereich der Mythen und Sagen. Demnach wurde die namensgebende Fee Morgana, eine Halbschwester des sagenumwobenen Königs Artus, für die oft spukhaft auftretenden und wieder verschwindenden Erscheinungen verantwortlich gemacht.
Physikalisch gesehen liegt dem Phänomen die Lichtbrechung zugrunde, die man beispielsweise von dem scheinbar geknickten Strohhalm in einem Glas mit Wasser kennt. Während in einem solchen Fall der Brechung eindeutige und leicht reproduzierbare Verhältnisse vorliegen, kommt durch die formlose Luft als brechendes Medium das Unförmige, Wandelbare und daher oft nicht sofort Durchschaubare ins Spiel. Am bekanntesten dürfte wohl die von Bornholm angesprochene Fata Morgana auf dem heißen Asphalt sei (Abb. 1).
Luft ist für sichtbares Licht weitgehend transparent und nimmt daher kaum sichtbares Sonnenlicht auf. Erst dadurch, dass es vom Asphalt absorbiert und in thermische Energie umgewandelt wird, kommt es zunächst zu einer Aufheizung des Asphalts selbst und anschließend durch Wärmeleitung und Konvektion auch zu einer Temperatursteigerung der angrenzenden Luftschicht.
Mit steigender Temperatur nimmt die Dichte der Luft ab und damit sinkt auch der Brechungsindex. Unmittelbar über der Straße ist der Brechungsindex am kleinsten und wächst mit zunehmender Höhe bis es den Wert der nicht aufgeheizten Luft angenommen hat.
Um die Sache zu vereinfachen, kann man sich die Luft über dem Asphalt aus parallelen Schichten zusammengesetzt denken, an deren jeweiligen Grenzen das Licht gebrochen wird. Das vom Auto ausgehende, die heiße Luftschicht durchdringende Licht wird wegen des kleiner werdenden Brechungsindex‘ an den Schichtgrenzen jeweils vom Einfallslot weg gebrochen und gegebenenfalls schließlich durch Totalreflexion nach oben hin abgelenkt.
Daraufhin durchläuft das Licht erneut die einzelnen Luftschichten, nunmehr mit zunehmendem Brechungsindex und es wird daher zum Einfallslot hin gebrochen bis es schließlich im Auge des Betrachters landet (Abb. 2, rot eingezeichneter Lichtweg). Da das Auge den Gegenstand in geradliniger rückwärtiger Verlängerung der Einfallsrichtung verortet, wird das Auto nicht nur direkt durch die normale Luftschicht wahrgenommen (Abb. 2, gelbe Linie) sondern auch so als würde es unterhalb der Straße sein (Abb. 2, gestrichelte Linie).
In der Realität ist der Lichtverlauf komplizierter als in der hier dargestellten idealtypischen Schichtung dargestellt. Das „gespiegelte“ Auto erscheint daher meist vielfältig verzerrt. Da außerdem Teile des blauen Himmels an der Luftschicht in Auge reflektiert werden, hat man oft den Eindruck, dass das Auto trotz der großen Trockenheit durch eine Pfütze fährt.
Neben derartigen unteren Luftspiegelungen beobachtet man auch obere Luftspiegelungen, bei denen die Dichte der Luft von unten nach oben abnimmt. Dies ist beispielsweise bei einer Temperaturinversion der Fall, wenn eine warme Luftschicht über einer kalten Wasserschicht liegt (Abb. 3). Wenn der Temperaturgradient nicht sehr groß ist, muss es nicht einmal zu einer Spiegelung mit einer Spiegelverkehrung kommen, sondern lediglich zu einer Hebung (Abb. 4). In vielen Fällen sieht man auch nur eine vertikale Dehnung des Objekts. Bei komplizierten Luftschichtungen zeigen sich in seltenen Fällen auch Mehrfachspiegelungen.
Eine Luftspiegelung ist fast allgegenwärtig, ohne dass man sich dessen bewusst wäre. Die Sonne in Horizontnähe ist nicht dort, wo man sie sieht. Da die Dichte der Atmosphäre nach oben hin abnimmt, wird auch der Brechungsindex kleiner, und die von der Sonne ausgehenden Lichtstrahlen werden nach unten gekrümmt, bevor sie das Auge des Beobachters erreichen. Dadurch erscheint die Sonne entsprechend angehoben und zwar so stark, dass sie mit dem unteren Rand den Horizont berührt, wenn sie geometrisch bereits gerade unter dem Horizont verschwunden ist.
Und die mit dieser Hebung verbundene Konsequenz, dass die Lichtstrahlen vom unteren Rand der Sonne größere Luftschichten mit größeren Dichteunterschieden durchlaufen als die vom oberen Rand kommenden, führen dazu dass die unteren stärker als die oberen gebrochen werden. Die Hebung ist also im unteren Bereich größer als im oberen, sodass die Sonne zusätzlich zur Hebung als Ganzes auch noch abgeflacht erscheint (Abb. 5). Das fällt uns normalerweise nicht auf, weil wir ja „wissen“, dass die Sonne kreisrund ist. Erst wenn man ein Foto der Sonne um 90° dreht, sieht man die vermeintliche Abplattung ganz deutlich (Abb. 6).
Wenn die Sonne im Meer untergeht und man den Vorgang durch eine sehr warme Luftschicht über dem kalten Meerwasser verfolgt, kann zusätzlich zu diesen beiden Hebungsphänomenen auch noch eine untere Luftspiegelung ähnlich der auf dem heißen Asphalt hinzukommen. Dann sieht es so aus, als hätte die Sonne einen Fuß. Man spricht manchmal auch von „Etruskischer Vase“.
Die Begriffe Fata Morgana und Luftspiegelung werden meist fast synonym für alle Phänomene benutzt, bei denen ganz unterschiedliche Änderungen und Schwankungen des Brechungsindexes zu mehr oder weniger komplexen scheinbaren Veränderungen der durch die Luft hindurch betrachteten Gegenstände führen. Da wir unsere Umwelt stets durch eine Luftschicht hindurch betrachten, treten brechungsbedingte Deformationen häufiger auf, als man denkt. Solange die Ähnlichkeit des gesehenen Objekts auch nur halbwegs mit der Erwartung übereinstimmt, nimmt man das Phänomen jedoch kaum als solches wahr.
Einreichversion des Aufsatzes
Literatur
Nicolaus Bornholm. America oder Der Frühling der Dinge. Frankfurt 1980
Da kommt auf die KI im Strassenverkehr einiges zu ?!
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Das kann man wohl sagen. Ich habe gerade im Deutschlandfunk eine Sendung über die Gefahren der KI gehört und da war u.A. die Rede von einem Unfall beim autonomen Fahren: Die Mustererkennung hatte die blaue Plane eines vorausfahrenden Lastwagens für den blauen Himmel gehalten und damit die Fahrt ins Blaue zugelassen.
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