Was bleibt einem nach einem verregneten Sommer anderes übrig, als den wässrigen Erscheinungen auch etwas Positives abzugewinnen. So bemerke ich beispielsweise zu Beginn eines neuen Regenschauers, dass die ersten Tropfen sich oft perlenkettenartig auszurichten scheinen, wie auf dem Foto zu sehen. Später wenn die Anzahl der Tropfen überhand nimmt, geht dieses Phänomen im Tropfengedränge unter.
Die Tropfenbahn ist das Ergebnis eines physikalischen Vorgangs. Wenn ein Tropfen die Fensterscheibe trifft, benetzt er diese. Denn die Scheibe ist hydrophil = wasserliebend und zieht das Wasser an. Da der ursprüngliche Tropfen mit einer erheblichen Geschwindigkeit auftrifft, bewegt er sich aus Trägheit noch ein Stück weiter. Und da die Scheibe ihn nicht loslassen kann oder will, passiert das zweitbeste; er hinterlässt eine Wasserbahn, in die der Tropfen schließlich völlig aufgeht.
Diese Bahn ist aber instabil und nur ganz kurz zu sehen. Sie hat nämlich nicht nur eine große gemeinsame Grenzfläche mit der Scheibe, sondern auch mit der Luft. Zur Ausbildung dieser Grenzfläche ist sehr viel Grenzflächenenergie nötig. Da aber die Natur bestrebt ist, so viel Energie an die Umgebung abzugeben wie unter den gegebenen Umständen möglich ist (2. Hauptsatz der Thermodynamik), verkleinert sich die Grenzfläche: Durch zufällige Schwankungen in der Höhe und Breite der hinterlassenen Bahn, schnüren sich einzelne Bereiche ab und ziehen sich zu einzelnen Tropfen zusammen. Das passiert alles so schnell, dass man es mit bloßem Auge gar nicht sehen kann.
Eigentlich streben die Tropfen eine Kugelform an, da die Kugel bei gegebenem Volumen die kleinste Oberfläche besitzt. Aber das gelingt wegen der Hydrophilie der Scheibe nur an der Grenzfläche zwischen Wasser und Luft. Außerdem kommt auch noch die Schwerkraft ins Spiel, durch die die Tropfen ebenfalls deformiert werden. Als Endergebnis ergibt sich dann die auf dem Foto zu sehende Tropfenbahn.
Spannend wie stets. Und was den Sommer angeht, ein wirklich herrliches optimistisches Denken – meinen Dank 🙂
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Das freut mich, dass meine „physikalische“ Beschreibung dir gefallen hat. Herzlichen Dank für deinen Kommentar. LG, Joachim.
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„Das passiert alles so schnell, dass man es mit bloßem Auge gar nicht sehen kann.“
–> Eigentlich müsste das jemand mit einem Video festgehalten haben!
Bei der Einschnürung: Schnürt sich die Wasserbahn nur einmal zusammen oder portionsweise und jede Portion nochmal in kleinere Portionen, bis schliesslich die Menge an Tropfen erreicht ist, die sich dann schlussendlich als Perlen zeigen?
Wie kann das Phänomen „wissen“, daß die in Angriff genommene Einschnürung gleich die endgültige und richtige ist?
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Video mit slow motion wäre natürlich toll.
Da die Bahn vor allem wegen des verunreinigten Untergrunds von variierender Breite ist, schnürt sie sich an den engsten Stellen ein und zieht sich in Konkurrenz mit Nachbareinschnürungen bis zum Abriss zusammen, wodurch sich eine den Einzugsflächen entsprechende Aufteilung der Wassermenge ergibt, die zu mehr oder weniger runden und mehr oder weniger kleinen Tröpfchen führt. Das „weniger“ ist vor allem der verunreinigten Fensterscheibe zu verdanken, die die Hydrophilie der Scheibe lokal verändert.
Die Einschnürungen werden also weitgehend durch die zufälligen Schwankungen in der Breite der hinterlassenen Feuchtigkeitsbahn bestimmt.
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Danke für die feine Erklärung, lieber Joachim.
Gesetzt den Fall, die Glasfläche wäre a) „superglatt“, b) es gäbe auch keinen Staub, und c) die Wasserbahn wäre absolut senkrecht ausgebildet und gleich breit.
Was würde passieren?
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Der aufprallende Tropfen würde aus Trägheit etwas in die Länge gezogen, an der Scheibe ein Stück hinabrutschen bis er durch „Reibung“ zum Stillstand kommtt und sich wieder zu einem durch die Schwerkraft etwas durchhängenden kompakten Tropfen zusammenziehen, wie man ihn gewöhnlich an einer Scheibe antrifft.
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Wow, auch für diesen hyothetischen Fall ist dir die Lösung sonnenklar, äh glasklar!
Danke, Joachim!
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🙂
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