Wie Orgelpfeifen aufgereiht hängen sie von der Dachrinne herab, nachdem es im Anschluss an Tauwetter während des vergangenen Tages wieder gefroren hat. Und da die Rinne selbst kein Wasser mehr transportiert, weil sie selbst mit Eis ausgefüllt ist, quillt das neu hinzukommende Wasser über den Rand hinweg und lässt die Rinnsale zu Zapfen gefrieren. Der Wechsel von Temperaturen um den Gefrierpunkt herum sind ideale Bedingungen für das Gedeihen von Eiszapfen. Die Warmphasen sorgen für flüssigen Nachschub und die Kaltphasen für dessen Verfestigung am Ende der bereits bestehenden Zapfen.
Schaut man sich Eiszapfen genauer an, so scheinen die meisten von ihnen so etwas wie eine sichtbare Seele in ihrem Innern aufzuweisen (siehe unteres Foto). Dieses reichlich strukturierte Muster besteht aus Lufteinschlüssen, die sich meist in der Mitte eines Zapfens bilden. In Wasser ist unter normalen Bedingungen und das heißt u.a. bei Kontakt mit der Atmosphäre stets mehr oder weniger Luft gelöst. Die Löslichkeit nimmt mit abnehmender Temperatur zu.
Doch wenn es so kalt wird, dass das Wasser gefriert, nimmt die Löslichkeit plötzlich drastisch ab und die überschüssige Luft wird während der Erstarrung des Wassers abgegeben. Die Eiszapfen frieren von außen nach innen zu, weil sie die bei der Kristallisation freiwerdende Wärme umso besser abgeben können, je näher sie der kalten Außenwelt sind. Wenn die Temperatur sehr niedrig ist und der Kristallisationsvorgang sehr schnell abläuft, kann die beim Erstarren zurückbleibende gelöste Luft nicht schnell genug nach außen abgegeben werden und sie bleibt daher in der Mitte des Zapfens als Luftblasenmuster zurück. Brechung und Reflexion beim Übergang des Lichts zwischen Eis und Luftblasensorgen sorgen dafür, dass die Luftseele trotz der Transparenz von Eis und Luft deutlich sichtbar wird.
Beim langsamen Gefrieren hat die Luft oft Zeit genug, an die Umgebung zu entweichen, sodass Zapfen ohne eingeschlossene Luftblasen entstehen können und völlig klar erscheinen.
Eiszapfen weisen noch weitere interessante Merkmale auf. Schaut man sich das untere Bild an, so stellt man fest, dass sie nicht streng kegelförmig sind, sondern eine leichte Wellung aufweisen. Dahinter verbirgt sich ein faszinierender Selbstorganisationsprozess, der an anderer Stelle beschrieben wurde.
Eiszapfen waren schon mehrere Male Gegenstand in diesem Blog und werden es wohl auch weiterhin sein, weil es immer noch etwas Neues oder Altes in neuer Form zu sehen und zu bestaunen gibt. Wer beispielsweise noch keine nach oben hin wachsenden Eiszapfen gesehen hat, schaue sich diesen Beitrag an. Diese Zapfen lassen sich sogar im Gefrierfach züchten. Auch Gedichte sind über Eiszapfen geschrieben worden. Manchmal setzen sich sogar Weidenkätzchen zapfenartige Mützen auf, wenn es im Frühling nochmal so richtig kalt wird. Und wenn einmal wieder ein Eisregen die Umwelt im Griff hat, sprießen die Zapfen in großer Zahl aus den Ästen und Zweigen und nehmen eiskalt vorweg, was Blätter und Blüten demnächst noch auf lebendige Weise vorführen werden.
die Beschreibung “ mit Seele“ find ich sehr treffend für die Anmutung, die mir kommt, wenn ich diese kleinen Wunderwerke der Natur anschaue.
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Vielen Dank, der Ausdruck floss mir so aus der „Feder“.
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Luftseele !
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Genau.
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