Dass es immer wieder neue Phänomene gibt, bei denen man nicht ohne Weiteres auf bekannte Erklärungsmuster zurückgreifen kann, wurde mir klar, als mir Bernd Heepmann, der einen ausgezeichneten Blick für Alltagsphänomene hat, nacheinander diese beiden Fotos schickte. Es handelt sich um einen Abschnitt aus einem an anderer Stelle frisch gefällten Baum.
Bei dem ersten (oberen) Foto war ich zunächst ratlos, weil ich mir nicht so recht erklären konnte, warum sich der Reif nur auf den mittleren Bereich des abgesägten Stamms beschränkt. In der Absicht, mich noch weiter zu verwirren, erhielt ich kurz darauf das zweites Foto (unten) der Situation zu einem späteren Zeitpunkt. Doch statt Verwirrung zu stiften, führte es letztlich zur Lösung des Problems, indem es zeigte, dass die Beschaffenheit des Holzes ursächlich mit der selektiven Vereisung zu tun haben musste.
Mir wurde klar, dass die Frostschicht im oberen Foto auf den Bereich des Kernholzes beschränkt ist. Kernholz ist physiologisch nicht mehr aktiv und enthält daher wesentlich weniger Feuchtigkeit als das äußere physiologisch aktive Splintholz.
Eine Konsequenz der größeren Feuchtigkeit des Splintholzes besteht darin, dass seine Wärmekapazität entsprechend größer ist als die des Kernholzes. Es muss also mehr Energie mit der Umgebung ausgetauscht werden, um eine bestimmte Temperaturänderung zu erreichen als beim Kernholz. Das führt dazu, dass bei einer Abnahme der Lufttemperatur unter den Gefrierpunkt, die Temperatur des Kernholzes wesentlich schneller unter den Gefrierpunkt sinkt als die des Splintholzes mit der Folge, dass sich hier entsprechend früher eine Reifschicht ausbildet.
Diese Deutung scheint auf den ersten Blick im Widerspruch zu der im unteren Foto festzustellenden dünnen Schneeschicht zu stehen, die sich nur auf dem Splintholz mit der größeren Wärmekapazität gehalten hat.
Der Widerspruch löst sich dadurch auf, dass in diesem Fall offenbar der umgekehrte Vorgang abgelaufen ist. Nach einer Frostperiode ist es wieder etwas wärmer geworden. Die Temperatur des Holzes steigt entsprechend. Wegen der größeren Wärmekapazität des Splintholzes, dauert es länger bis eine Temperatur oberhalb des Gefrierpunkts erreicht wird als beim Kernholz. Der in dieser Situation fallende Schnee schmilzt daher auf dem Kernholz weg, während er auf dem kälteren Splintholz noch so lange liegenbleibt, bis auch dies genügend erwärmt ist.
Wir haben also letztlich von einem der physikalischen Unterschiede zwischen Kern- und Splintholz eines Baumes auf das Wettergeschehen schließen können. Es wäre auch denkbar gewesen, dass man in Unkenntnis der biologischen Verhältnisse beim Aufbau des Baumstamms und bei bekanntem Wettergeschehen auf die unterschiedliche Wärmekapazität der beiden Bereiche des Baumstamms hätte schließen können.
Dass man jedoch diese Phänomene überhaupt zu Gesicht bekommt ist einmal mehr der Tatsache zu verdanken, dass sich im Temperaturbereich um den Gefrierpunkt von Wasser der Wechsel des Aggregatzustands in phänomenologisch unterschiedlichen Formen äußert, die optisch auf eindrucksvolle Weise sichtbar werden.
Ist Wasser eigentlich (oder abstrakt-allgemein) sehr besonders, etwas besonders, oder haben alle Moleküle/Verbindungsmuster solche Besonderheiten?
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Wasser ist in der Tat etwas Besonderes obwohl es alltäglich ist. Es im Vergleich zu vielen anderen Stoffen zahlreich Anomalien. Im Winter zeigt sich das u.A. darin, dass Gewässer von oben zufrieren und beim aktuellen Beispiel, dass die Wärmekapazität von Wasser sehr groß ist.
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