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Physik im Alltag und Naturphänomene

Lochmuster im Eis – Strukturbildung im Verborgenen

Als ich mir gestern Morgen bei strahlendem Sonnenschein den weiteren Zerstörungsprozess der Hinterlassenschaften der gerade vergangenen „Eiszeit“ anschaute, fiel mir ein merkwürdiges Dreckmuster auf. Auf der inzwischen von einigen Zentimetern Wasser bedeckten Eisschicht eines Wasserbeckens ordnete sich der mit dem durch das Regenrohr zugeführten Schmelzwasser vom Dach mitgeführte Schmutz in einem nahezu regelmäßigen Punktemuster an. Bei näherem Hinsehen war zu erkennen, dass sich die Schmutzpartikel leicht bewegten. Sie tanzten allerdings sehr diskret auf der Stelle. Erst als ich mit den Fingern die Eisfläche abtastete erkannte ich, dass sich die Teilchen in einzelnen dem Fingergefühl nach zu urteilen halbhohlkugelartigen Vertiefungen im Eis bewegten und daher schwerkraftsbedingt auf ein relativ kleines Parkett beschränkt waren.
Während mir auf diese Weise die Schmutzpartikel die an sich unsichtbaren Vertiefungen im Eis verrieten, wies ihr Tanz auf Bewegungen in der etwa 5 cm dicken Wasserschicht über dem Eis hin, die sich als Konvektionsvorgänge im Wasser erwiesen. Anders als bei der Bénard-Konvektion in einer von unten geheizten Flüssigkeitsschicht, wird wegen der Dichteanomalie des Wassers die Konvektion nicht durch einen warmen, sondern durch einen kalten Boden angetrieben. Denn zwischen 0° und 4°C wird das Wasser umso dichter, je höher die Temperatur ist. An der Oberfläche erwärmtes Wasser sinkt ab und gibt Wärme an den eisigen Untergrund ab. Auf diese Weise kälter und leichter (dichter) geworden steigt es wieder auf, um sich an der Oberfläche erneut  zu wärmen, abzusinken usw. Infolgedessen wird in die Eisschicht eine der kreisförmigen Konvektionsbewegung entsprechende zunehmende Vertiefung hineingeschmolzen. Über der gesamten Eisschicht hat sich auf diese Weise ein Muster aus vielen Vertiefungen gebildet, deren Zentren ähnlich weit voneinander entfernt sind wie der Konvektonswirbel hoch ist. Die einzelnen Konvektionszellen werden allerdings erst durch die Ansammlung von Schmutzpartikeln sichtbar. Diese sammeln sich auf ähnliche Weise in der Mitte der Vertiefung wie die Teeblätter nach dem Umrühren in der Mitte der Tasse.

Wer wollte da noch etwas gegen den Schmutz sagen. Wäre er hier nicht präsent gewesen, ich hätte von dem weitgehend im Verborgenen ablaufender Vorgang und dem damit verbundenen Lochmuster im Eis nichts erfahren. Der strukturelle Reichtum der Eisoberfläche wurde in diesem Fall nicht durch Sehen, sondern durch Tasten erschlossen, eine Handlung, die im Bereich der Wissenschaften nicht sehr verbreitet ist.
Diese kleine Untersuchung erinnert mich an eine Stelle bei Walter Richartz*: Da zieht ein Problem das andere nach sich, die Faszination wächst mit der Vertiefung. Sah etwas zunächst wie eine Nebenfrage aus, etwas Lauwarmes, für Außenstehende geradezu Kleinliches, so veränderte es sich beim Näherkommen wie Gullivers Brobdingnag. Plötzlich gab´s nichts Größeres auf der Welt! Und immer eine leichte Hoffnung dabei: Vielleicht entdeckst du Umstürzendes!


*Walter E. Richartz. Reiters westliche Wissenschaft. Zürich1982

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