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Marginalia, Physik im Alltag und Naturphänomene

Die Enden der Parabelrutsche

Bei einem Tagungsaufenthalt (MNU Kongress 2018) in der Technischen Universität München (TUM) ließ ich es mir nicht nehmen, ein eher jahrmarktsmäßiges Event in den durch Vorträge bestimmten Tagesablauf zu integrieren, indem ich mich in der Fußgängerebene der Magistrale, dem Herzstück der Gebäude für die Fakultäten Mathematik und Informatik, mit Todesverachtung durch eine Rohrrutsche 13 m in die Tiefe „stürzte“. Die Rutsche ist insofern etwas Besonderes und mit direktem Bezug zum „Mathematisch Naturwissenschaftlichen Unterricht“, als sie die mathematische Dignität einer Funktion besitzt, mit der wohl alle Schülerinnen und Schüler zu tun haben oder zu tun haben werden. Ich finde die Funktion in ihrer graphischen Gestalt und ihrer physikalischen Beschreibungsmächtigkeit nicht nur beeindruckend, sondern auch ästhetisch ansprechend. Sie scheint ein Element der DNA unserer Welt zu sein. Selbst wenn man nur einfache Sachverhalte wie die Oberflächenform einer rotierenden Flüssigkeit (umgerührter und dann sich selbst überlassener Tee in der Tasse), der Schnitt durch einen Lichtkegel, der schiefe Wurf eines Steins usw. betrachtet, ist ihnen die Parabel unmittelbar einbeschrieben. Ich war also sehr gespannt darauf, ob ich dem Wesen der Parabel durch meinen körperlichen Kontakt und Einsatz in der parabelförmig gekrümmten Röhre näher kommen oder zumindest eine konkretere, gewissermaßen auf haptische und dynamische Weise intensivierte Anschauung von ihr erfahren könnte.
Ich begab mich also mit dem Fahrstuhl die drei Stockwerke zur oberen Öffnung der Rutsche hinauf und stürzte mich im Wesentlichen auf dem Hintern rutschend in die Tiefe und fragte mich, ob sich wohl ein geworfener Stein oder Wasser in einer hochgeschleuderten Fontäne so fühlen würde wie ich in diesem Moment. Aber weiter kam ich dann nicht mit meinen Überlegungen und Vergleichen, weil bereits das Licht am Ende des Tunnels aufblitzte und die relativ unspektakuläre Landung in Form einer starken Abbremsung (man kennt das vom Landen eines Flugzeugs) und vermutlich einer damit einhergehenden Renormalisierung der Herzfrequenz zu einem jähen Ende kam.
Obwohl das Erlebnis in der Parabel sehr konkret und beim ersten Mal (ja, ich machte es mehrmals) nicht ohne eine gewisse Aufregung erfolgte, bin ich durch die physischen und psychischen Wirkungen dieser kurzen Rutschpartie der Parabel an sich, dem abstrakten mathematischen Gehalt kaum näher gekommen. Ich glaube daher nicht, dass die Parabelrutsche als ein angemessenes Beispiel für die Veranschaulichung einer mathematischen Funktion angesehen werden kann. Jedenfalls habe ich nicht das Gefühl, das mir die mathematischen Struktur der Parabel durch diese Aktion irgendwie vertrauter geworden ist. Ich habe aber auf diese Weise ein ungewöhnliches körperliches Erlebnis in den normalen Kontext der Tagung einflechten dürften, das mich fit machte, die nächsten Vorträge mit noch größerer Aufmerksamkeit und mit noch größerem Gewinn zu verfolgen.

Diskussionen

2 Gedanken zu “Die Enden der Parabelrutsche

  1. und? hast du nun eine bessere Möglichkeit erdacht, dich erlebnismäßig dem Verständnis der Parabel zu nähern?

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    Verfasst von gkazakou | 29. März 2018, 10:49
    • Ehrlich gesagt, nein. Es gibt zwar schöne Momente im Angesicht parabelförmiger Figuren, z.B. dem Plätschern eines Springbrunnens, der parabelförmige Wasserfontänen erzeugt, aber das Erlebnis wäre wohl nicht anders, wenn die Wasserstrahlen eine andere geometrische Form hätten. Vielleicht kommt man der Parabel nur mit einer Parabel als Erzählung bei. Oder aber es gilt mutatis mutandis was Gertrude Stein von der Rose sagte.

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      Verfasst von Joachim Schlichting | 29. März 2018, 11:59

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