H. Joachim Schlichting. Spektrum der Wissenschaft 4 (2018), S. 72 – 73
Ansteigendes Meerwasser verdrängt Luft aus dem Kapillarsystem des Untergrunds und wölbt am Strand Sandkegel auf. Der Tidenwechsel glättet sie wieder und hinterlässt manchmal rätselhafte Flecken.
Im Sande des Meeres,
den noch kein Linné
nach seinen Gestalten geordnet hat
Georg Christoph Lichtenberg (1742 – 1799)
An manchen Stränden geht man im höher gelegenen und bei Ebbe relativ weit vom Wasser entfernten Bereich zuweilen wie auf Watte und sinkt ziemlich tief in den Sand ein. Obwohl oft noch die Spuren der Überspülung von der letzten Flut zu sehen sind, hat sich hier anders als am Saum des Meeres kein trittfester Boden ausgebildet.
Auf dem weichen Teil des Strands erkennt man zahlreiche kleine Löcher und regelrechte Pusteln. Löst man vorsichtig eine Handvoll Sand aus dem Boden, ohne ihn zu zerdrücken, hält man eine Art Sandschaum; das Gefüge ist mit großen und kleinen Hohlräumen durchsetzt.
Beobachtet man das Geschehen über mehrere Tage, wird klar, dass die Gezeiten für die Durchlüftung verantwortlich sind. Bei Hochwasser wird ein wesentlich größerer Bereich eines sanft ansteigenden Strands von Wasser überspült als bei Niedrigwasser.
Sand besteht aus unregelmäßig geformten Körnern, die sich nur an einigen Stellen berühren. Dazwischen bilden sie ein zusammenhängendes Kapillarsystem. Dringt von oben Wasser ein, verdrängt es mit seinem Gewicht die enthaltene Luft. Sie kann nicht nach unten ausweichen, weil dort der Grundwasserspiegel bereits die Leerräume gefüllt hat. Also treibt die steigende Flut die Luft keilförmig nach oben.
Dabei gerät die Luft unter Druck, weil die engen Kapillaren der Strömung einen Widerstand entgegensetzen. Dieser ähnelt dem, den man bei einer Einwegspritze spürt, wenn man Wasser herausdrückt, während sich eine Luftblase darin befindet. Sie wird durch den Kolben erheblich zusammengepresst. Einem derartigen Druck ausgesetzt, fließen die feinen Luftströme im Sand zusammen, sobald sie miteinander in Kontakt kommen. Schließlich entladen sie sich an der Oberfläche. Sie treten einerseits als Löcher im Boden in Erscheinung, andererseits wölben sich kleine Vulkankegel auf, sofern die obere Lage luftdichte Bereiche enthält. Beide Strukturen prägen das Bild der Sandschaumschicht und werden bei Niedrigwasser weiträumig freigelegt. Wenn man dann die Kegel vorsichtig mit einem Messer aufschneidet, kann man sich davon überzeugen, dass sich unter den Pusteln wirklich Hohlräume befinden.
Bei steigendem Meeresspiegel sieht man manchmal noch, wie die rhythmisch auf- und ablaufenden Wellen die Löcher überfluten und wieder freigeben. Dabei kann man beobachten, wie direkt hinter der Front des auflaufenden Wassers, wo es nur wenige Zentimeter tief ist, aus den überschwemmten Löchern Blasen austreten.
Die Ebbe entwässert das zwischenzeitlich gefüllte Kapillarsystem und größere Hohlräume wieder, und durch den damit verbundenen Unterdruck wird Luft eingesogen. Manchmal entstehen dabei auch neue Löcher.
Diese Vorgänge liefern die Erklärung für ein weiteres Phänomen, das man an Stränden im Bereich des auf- und ablaufenden Wassers gelegentlich beobachtet: chaotisch verteilte dunkle Flecken auf dem hellen Sand, oder sogar relativ geordnete Karree- und Streifenmuster. Aus der Nähe betrachtet wird klar, dass hinter den Maserungen die Entmischung heller und dunkler Sandkörnchen steckt. Deren Färbung ist nur das sichtbare Zeichen eines wesentlicheren physikalischen Unterschieds, den man bereits durch Wägen in den Händen feststellen kann, sofern man mit etwas Geduld ungefähr die gleiche Menge an hellen und dunklen Teilchen einsammelt. An dem Strand, auf den ich mich hier beziehe, weist der dunkle Sand eine größere Dichte auf als der helle. Der Wind entmischt beide häufig und lässt dünne Schichten entstehen.
Da die Kegel im Allgemeinen nicht erneut zur Entlüftung dienen, wenn sie bei der nächsten Flut wieder in den Einflussbereich des auflaufenden Wassers geraten, werden sie überspült und teilweise eingeebnet. Dabei wird zunächst die obere meist helle Sandschicht der ehemals luftgefüllten Sandpusteln abgetragen und die darunterliegende dunkle Schicht sichtbar. Wenn auch noch diese Schicht teilweise abgetragen wird, kommt manchmal auch noch die nächste darunter liegende helle Sandschicht zum Vorschein, sodass sich ringartige Muster ergeben.
Wenn die Gezeiten dann auch noch einen Teil dieser Sandkörner in Richtung des ablaufenden Wassers mit sich ziehen, hinterlassen sie oft strähnenartige Spuren, über deren Ursprung der Strandwanderer vor allem dann ins Rätseln geraten kann, wenn er sie bei Niedrigwasser antrifft und nicht ahnt, dass einige Stunden vorher hier noch auf- und ablaufende Wasserwellen gestalterisch am Werk waren*.
Quelle
Steenhauer, K. et al.: Subsurface Processes Generated by Bore‐Driven Swash on Coarse‐Grained Beaches. In: Journal of Geophysical Research 116, C04013, 2011
* Dies ist die Einreichversion der Publikation
Genial, habe ich noch nie aus der Perspektive gesehen.
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Ging mir genauso, bis ich die Pusteln so oft gesehen habe, dass ich einen Urlaub mit ihnen zugebracht habe.
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Toll. Gibt es das am Meer immer zu beobachten? Ich habe da wahrscheinlich noch nie darauf geachtet.
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Wie kommst du denn jetzt auf diesen alten Beitrag? Aber zu deiner Frage: Ich habe das Phänomen nur an einigen wenigen Stränden der Welt beobachten können, obwohl ich die Augen meist offen habe. Ich habe lange gebraucht, um das Phänomen zu verstehen. Dazu bedurfte es mehrerer Urlaube. Es scheint auch nicht sehr bekannt zu sein. Am besten ist es bei Ebbe an einem etwas abschüssigen Sandstrand am oberen Rand zu schauen. Am besten wenn noch keiner da war und alles zertrampelt hat.
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