Der Hype mit dem Fidgetkreisel ist weitgehend vorbei. Man wischt sich die Augen und fragt: War das alles? Oder etwas konstruktiver: Was bleibt? Eines bleibt auf jeden Fall; das ist die Idee, einen Kreisel mit einem Kugellager zu versehen. Dabei ist die Leichtläufigkeit noch nicht einmal das wichtigste Argument. Ein Kreisel mit einer Spitze auf einer harten, glatten Unterlage angedreht ist an Leichtläufigkeit kaum zu überbieten. Jedenfalls wenn man dies im Rahmen der Zeitspanne für die Aufmerksamkeit sieht, die man für die Betrachtung eines rotierenden Kreisels aufzubringen bereit ist. Aber der traditonelle Kreisel ist auf spezielle Unterlagen angewiesen, während der Kreisel mit Kugellager davon völlig unabhängig ist. Denn sein Standbein ist immobil, es rotiert nicht.
Dass das so ist, sollte ich erfahren als ich vor ein paar Tagen einen Kreisel geschenkt bekam (siehe Foto), der äußerlich ganz normal erschien und mich schon fast zu der Aussage veranlasste: Ich hab schon einen Kreisel. Wobei das maßlos untertrieben ist. Man könnte sagen es sind mehr hundert, große und kleine, übergroße und winzige, die sich gegenseitig an Originalität zu überbieten scheinen und wegen ihrer Vielzahl sich nur selten bewegen dürfen. Als ich ihn dann aber wie meist üblich an der Achse anzudrehen versuchte, ging die Aktion völlig ins Leere. Er rührte sich nicht.
Fidget sei Dank kam ich schnell dahinter, dass man ihn anders anzudrehen hat, nämlich an der Schwungscheibe, die in diesem Fall nicht nur eine verhältnismäßig große Masse hat, sondern auch eine Riffelung am Rand. Man kann ihn daher sowohl dadurch auf Touren bringen, dass man die Schwungscheibe direkt zwischen Daumen und Zeigefinger tangential ziehend anwerfen kann, als auch dadurch, dass man den geriffelten Rand über eine Unterlage zieht.
Kreisel sind von jeher ein Faszinosum. Schon Platon (428/427 – 348/347 v. Chr.) bezieht sich in seiner Politaia auf dessen frappierenden mechanischen Eigenschaften, wenn er darauf hinweist, „daß doch die Kreisel ganz zugleich stehen und sich bewegen, wenn sie mit der Spitze an einem und denselben Orte haftend sich herumdrehen, oder was sonst im Kreise sich bewegend dies an derselben Stelle bleibend tut…“.
Der Fidget Kreisel beschreibt, beinhaltet mehrere Phänomene.
Augenscheinlich war er ein so genanntes „must have“, ein Hype, wie er gerade an Grundschule häufig eine kurze Dekade durchläuft.
Ein soziologisches, gesellschaftliches Phänomen.
So gibt es auch Reihenhaussiedlungen, wo jeder ein Trampolin im Garten hat, oder eine gewisse Sozialgruppe plötzlich Langboard fährt etc.
Der Fidget, ursprünglich eingesetzt für ADS Kinder, zeigt ebenfalls die Sache einer überdrehten, sich immer schneller drehenden Gesellschaft auf und ihren Folgen, wie ADS.
Ich erinnere mich, wie ich Stundenlang als Kind vor einen Ameisenbau gesessen habe und sie beobachtete.
Wer sitzt heute noch stundenlang und beobachtet ein Naturvölkchen von Ameisen, kann man ja googeln.
An Grundschulen werden all die Hypes meistens verboten,
so kann man leider nich feststellen, wie eine Sozialgruppe so einen Hype durchlebt, welche Konflikte, Chancen, neue Themen sie hervorbringen.
Was bleibt ist die Gewissheit, das wir Menschen geprägt sin von dem Wunsch und Gruppen anzuschliessen, nicht aussen vor sein wollen. Was für die Lehrer der Rioja, ist für die Kinder der Widget-Spinner.
Man darf gespannt sein was der WM Sommer bringt.
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Vielen Dank für die Ergänzung der soziologischen Dimension, die ich nicht erwähnt habe.
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Via smartes Phone, daher Tippfääähler
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Da fiel mir doch gleich mein Brummkreisel wieder ein, und dass mein fürchterlicher Cousin einmal eine Stubenfliege fing und sie durch das „Brummloch“ stopfte, um auszuprobieren, ob der Fliege schwindelig würde und sie hinterher nicht mehr geradeaus fliegen könnte. Ich weiß nicht mehr, was mit der Fliege passierte, aber zwischen meinem Cousin und mir gab es ein mächtiges Geschrei.
Immerhin – dank Deines Eintrags und meiner Erinnerung habe ich gerade sie Seite eines Kreiselmuseums entdeckt: http://www.mader-kreiselmanufaktur.at/seiten/tradition.html
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Der Cousin wusste, dass die Brummer zusammengehören. Vielen Dank für den Hinweis auf das Kreiselmuseum. Wenn es mich mal nach Neumarkt verschlägt, werde ich es sicher besuchen. Mit (physikalischem) Spielzeug bin ich leicht zu fangen.
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Bezogen auf die Relativbewegungen bzw. wenn man eine Relativität der Bewegungen annimmt, wäre eigene Bewegung, hier z.B. Drehung, ja der Ausdruck von Ruhe. — Eines Wunsch danach oder ein vielleicht erreichter Zustand durch Bewegung. Als Musterfassung ist Kreisbewegung im Kosmos ja vermutlich öfters zu finden.
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Bei Himmelskörpern hat man allenfalls das Phänomen, dass sich unterschiedliche Schichten mit unterschiedlicher Geschwindigkeit relativ zueinander bewegen.
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Ergibt die Bewegung innerhalb von Himmelskörpern oder zwischen solchen abgegrenzten Körpern eine Nullsumme?
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Wenn mit „Nullsumme“ so etwas wie die Drehimpulserhaltung gemeint ist, so würde ich sagen, dass die rotierenden Himmelskörper bei Ihrer Entstehung eine Drehimpuls mitbekommen haben, den sie dann auch behalten.
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Impulserhaltung klingt ja ein wenig nach Perpetuum Mobile oder Immobile.
Mit Nullsumme war von mir gemeint: Wenn man die Bewegungen ‚der Dinge‘ zusammenrechnet — z.B. als Vektoren? –, ergeben diese dann zusammen eine Nullsumme, d.h. gleichen sich aus? Was ja mit Symmetrievorstellungen und ‚Aus dem Nichts‘-Modellen in Einklang stehen würde.
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Nebenanmerkung: Kreisel werden auch in keramischen Spielarten angeboten. In Diessen am Ammersee am Töpfermarkt ist immer ein solcher Stand zu finden.Da verweile ich ab und zu und probiere aus…
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Vielen Dank für den Hinweis. Wenn ich mal am Ammersee bin, werde ich mir auch noch einen keramischen Kreisel zulegen. Ein solcher fehlt in der Tat in meiner Sammlung.
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