Man wird oftmals sehen,
wie aus einem Menschen drei werden,
und alle ihm folgen:
und häufig verläßt sie gerade dieser eine,
der ähnlichste
Leonardo da Vinci (1452 – 1519)
Die interessantesten Schatten kann man bei tiefstehender Sonne in Städten beobachten, wenn die Fensterfronten zu sekundären Lichtquellen werden und dem kräftigen Sonnenschatten eine etwas herabgemilderte Variante entgegen halten. Auf dem Foto ist eine Situation eingefangen, in der neben den kräftigen primären Schatten des von rechts einfallenden Sonnenlichts Schatten auftreten, die durch die Reflexion des Sonnenlichtes in den Schaufensterscheiben hervorgerufen werden und die Originalschatten fast senkrecht überkreuzen. Sehr schön zu beobachten ist, dass die „Intensität“ der Schatten in solchen Überlagerungsgebieten besonders hoch ist. Denn an diese Stellen gelangt weder direktes noch reflektiertes Sonnenlicht.
Bemerkenswert ist weiterhin, dass die in der Mitte des Bildes stehende Person mit dem roten Hemd nicht nur zwei Schatten aufweist, sondern dass außerdem das Spiegelbild der Person, das links im Fenster zu sehen ist, ebenfalls einen Schatten wirft, der links vorne auf das Pflaster projiziert wird.
Die eingangs gestellte Frage kann also getrost mit „ja“ beantwortet werden und das obige Zitat von Leonardo da Vinci bekommt damit eine ganz konkrete Bedeutung. Es erinnert zudem an die lebenswichtige Bedeutung des Schattens in der Geschichte von Peter Schlemihl. Darin erzählt der Autor Adelbert von Chamisso (1781–1838) wie Schlemihl seinen Schatten an den Teufel verkauft und diese Tat bald danach bitter bereut. Seine Versuche, den Deal mit Satan rückgängig zu machen gelingt ihm nicht und er muss bis zum Ende der Geschichte schattenlos und einsam als Naturforscher leben. Ob er als solcher vielleicht die Möglichkeit erkannt hat, wie man mit einem Spiegel an zusätzliche Schatten kommen könnte (siehe oben), ist nicht überliefert.
ach ja, unsere Schatten! sie tauchen auf, wo man sie gar nicht vermutet.
Ich bin aber doch verwirrt und wills trotz des Fotos nicht glauben, dass das Spiegelbild einen Schatten wirft. Ist es nicht der Schatten der Person, der gespiegelt wird? frage ich mich. Aber nein, er verläuft vom Spiegelbild gekrümmt bis auf die Standfläche. Rätselhaft. Wie erklärst du das?
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Die Spiegelwelt ist rein optisch von der realen Welt nicht zu unterscheiden. (Nur Alice („Through the looking glass“) und einigen anderen Gestalten der Weltliteratur ist es vergönnt, die Spiegelwelt zu betreten, in der sie dann „gespiegelte“ Begebenheiten mit manchen Paradoxien durchleben.) Daher ist es auch möglich, dass ein gespiegelter Gegenstand einen Schatten wirft. Bevor ich aber darüber theoretisiere, empfehle ich dir, einen kleinen Spiegel vor dir auf Tisch aufzustellen und davor eine brennende Kerze zu platzieren. Ein beliebiger kleiner Gegenstand (z.B. eine zweite nichtbrennende Kerze ) vor den Spiegel gestellt (am besten etwas näher an den Spiegel als die Kerze) erscheint dann wie die brennende Kerze im Spiegel und weist wie die realen Gegenstände Schatten auf.
Vielleicht regt dich die Szenerie dann sogar zu einer kleinen Zeichnung an.
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Nun erst las ich dies und danke dir von Herzen. Einen Spiegel habe ich leider nur im Bad, und der ist fest.aber ich merke es mir, besorge einen beweglichen spiegel – und ja: ich werde es zeichnen.
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Eilt ja nicht. Ergibt sich vielleicht bei Gelegenheit.
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Inspirierende Worte…Danke Dir…
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Danke für diese Betrachtungen, sie haben mir wieder einmal gezeigt, dass Kunst und Physik in der Beobachtung eine große Schnittfläche besitzen. Der Künstler betrachtet, um darzustellen, der Physiker, um Erklärungen zu finden.
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Es freut mich sehr, wenn ich auch für die physikalische Sehweise Verständnis wecken kann. Vielen Dank für deinen Kommentar.
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