Sie „zogen an den Rudern, an diesen langen Stangen, die an der Wasseroberfläche metaphorisch und rhythmisch fließende Büschel kurzlebiger Lilien erblühen ließen“.
Harold Brodkey (1930 – 1996). Drei nahezu klassische Stories. Reinbek 1994.
Sehr schön klingen diese aus der Feder eines Dichters geflosseneen Worte. Ich kann die „Strophe“ sehr gut nachvollziehen, weil auch mich die komplexen Wellenmuster, die ein Ruderer durch einen vergleichsweise einfachen Schlagrhythmus der Wasseroberfläche aufprägt, immer wieder faszinieren und das nicht nur rhythmisch und metaphorisch, sondern auch ästhetisch und physikalisch.
Wenn man nicht gerade ähnliche Bilder wie auf dem Foto vor Augen hat, stellen sich Dichter und Denker das fluide Element als Inbegriff des Vergessens vor. Bei allem was passiert, stets bleibt schließlich eine glatte, unberührte Oberfläche zurück, so als wäre nichts geschehen.
Beobachtet man die formvollendeten Kräuselungen, die der Ruderer mit jedem Schlag dem bereits ausgerollten dynamischen Strukturteppich hinzufügt, bekommt man ein ganz anderes Bild. Was sich dort entfaltet scheint keinem schnellen Ende zuzustreben.
Und das hat seine Ursache in den physikalischen Mechanismen, die dazu führen, dass sich jede wie auch immer geartete Störung der Wasseroberfläche in ein wohlgeordnetes System von kreisrunden Ringwellen entwickelt, die in wundersamer Weise nach der Größe der Wellenlänge geordenet über die Wasseroberfläche laufen und den Ufern zustreben. Denn die Ausbreitungsgeschwindigkeit richtet sich nach der Wellenlänge. Bei größeren Störungen, wie sie von einem Ruder hervorgebracht werden, sind die Wellen mit größerer Länge schneller als die mit kleinerer. Das kann man bei den Wellensystemen im mittleren Bereich des Fotos ganz gut erkennen.
Die Wellen setzen ihren Weg auch dann unentwegt fort, wenn sie auf früher oder später ausgelöste Wellensysteme stoßen. Ohne sich auch nur im geringsten gestört zu fühlen oder sich gar aufhalten zu lassen, laufen sie gewissermaßen durch einander hindurch und setzen danach ihren Weg in alter Form und Geschwindigkeit fort. Ob einem Ruderer wohl bewusst ist, welche floralen Eindrücke er kurzfristig auf dem Wasser und langfristig im Bewusstsein eines poetisch und/oder physikalisch vorbelasteten Beobachters hinterlässt?
„laufen sie gewissermaßen durch einander hindurch und setzen danach ihren Weg in alter Form und Geschwindigkeit fort“
Als würde ein Gedächtnis wirksam werden. Oder das Sichtbare, die Wellen, sind nur Ausdruck eines Impulses, der tiefer angelegt sein Spiel treibt. Die Wellen spiegeln nur den Impuls, zeigen ihn auf, „fotografieren“ ihn.
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Abgesehen von Dispersionen bleibt die Welle unabhängig vom Medium als solche erhalten. Das ist auch bei anderen Wellen so, z.B. (linearen) Lichtwellen (siehe z.B. https://hjschlichting.wordpress.com/2017/05/14/im-bilde-sein/). Anderenfalls wäre die Welt eine völlig andere.
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