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Marginalia, Physik im Alltag und Naturphänomene

Optische Verwirrungen in Spiegelwelten.

Auf diesem Foto sieht man eine Unterführung, die rechts durch große Glasscheiben begrenzt wird, durch die man in den Vorraum eines Museums blickt – sofern die Scheiben es einen erlauben. Denn Glas hat die hybride Eigenschaft, Licht sowohl durchzulassen als auch zurückzuwerfen: spiegelnd zu reflektieren. In diesem Fall dominiert die spiegelnde Reflexion. Zum einen deshalb, weil man relativ flach (d.h. unter großem Winkel bezüglich der Senkrechten) auf die Scheibe blickt. Der Anteil des gespiegelten Lichts nimmt mit dem Winkel zu, der des durchgelassenen Lichts wird entsprechend geringer. Außerdem ist das unter dem hier eingenommenen Blickwinkel von der Scheibe reflektierte Licht besonders hell. Und nur wenig Licht dringt aus dem Raum nach außen, sodass auch von daher das wahre Geschehen hinter den Scheiben verborgen bleibt. Wegen der Dominanz des gespiegelten Lichts sieht es so aus, als würde sich das sichtbare Geschehen im Raum hinter den Spiegeln abspielen. Erst wenn man durch den eigenen Schatten hindurch senkrecht durch die Scheibe blickt, hat man eine Chance die wahre Welt hinter dem Glas wahrzunehmen.
Vor den Scheiben ist eine Wasserpfütze vom letzten Regen stehengeblieben. Sie hat ähnliche optische Eigenschaften wie eine Glasscheibe. Auch sie reflektiert im vorliegenden Fall das von außen kommende helle Licht unter flachem Winkel (das heißt: großem Reflexionswinkel). Man blickt durch die Pfütze in eine kopfstehende Spiegelwelt. Hier ist die Gefahr einer Täuschung geringer, weil man kaum Erfahrungen mit kopfstehenden Welten hat.
Auch das in der Pfütze gespiegelte Licht wird seinerseits in den Scheiben gespiegelt, sodass sich die Pfütze in den Raum hinein zu erstrecken scheint. Die naive Vorstellung, dass mit der Spiegelung der Wasserpfütze auch die von ihr in unsere Augen reflektierten Gegenstände auf dem Spiegelbild der Scheibe zu sehen sein müssten, geht an der Realität vorbei. Denn das Licht, das uns aus der gespiegelten Pfütze erreicht, kommt aus einer ganz anderen Richtung und daher von ganz anderen Gegenständen als das auf der realen Pfütze gespiegelte Licht. Das kann man sich leicht klarmachen, indem man den Weg eines Lichtstrahls, der uns aus der gespiegelten Pfütze kommend trifft, gedanklich-konstruktiv zurückverfolgt (siehe dazu dieses verblüffende Beispiel).
Es sind auf dem Foto weitere interessante optische Erscheinungen zu sehen. Beispielsweise sieht man von einigen in den Scheiben gespiegelten Personen nur den unteren Teil. Aber die Lösung möchte ich meinen lieben LeserInnen überlassen :-).

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Diskussionen

7 Gedanken zu “Optische Verwirrungen in Spiegelwelten.

  1. Die Lösung für „Das_untere_Phänomen“ ist zu später Stund‘ zu kompliziert für mich. Aber ich denke, die Helligkeit brennt die obere Hälfte weg bzw. verdeckt sie. Woher kommt die Helligkeit? Vielleicht von einer Zone links von der realen Gruppe (nicht auf dem Bild). Dort muß gleisendes Licht sein, was auf die Oberkörperzone geworfen wird.

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    Verfasst von kopfundgestalt | 26. Juni 2018, 01:02
    • Die Lichtintensitäten spielen in der Tat eine wichtige Rolle für das, was man schließlich sieht bzw. auf dem Foto dokumentiert bekommt. Das Tageslicht ist meistens so dominant (gleißend), dass alle anderen Lichteindrücke überdeckt werden. Das fällt normalerweise nicht so auf, weil unser Auge die überlebenswichtige Fähigkeit hat, sich durch leichte Bewegungen und mit Hilfe der Variation der Pupillenöffnung auf die jeweiligen Bildausschnitte zu fokussieren – im doppelten Wortsinn -, was der Fotoapparat nicht kann. Er hat jeweils nur eine Belichtungsmöglichkeit und ich muss mich beim Fotografieren entscheiden, was ich auf dem Bild sehen will – vorausgesetzt ich überlassen das nicht der Belichtungsautomatik. Insofern sind Fotos oft auch wissenschaftlich, künstlerisch oder sonstwie motivierte Kompositionen eines Wirklichkeitsausschnitts und nicht, wie oft unterstellt und gesagt wird, die objektive Darstellung.

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      Verfasst von Joachim Schlichting | 26. Juni 2018, 09:09
      • Ergänzung meinerseits: Unser Gehirn bearbeitet die Lichteindrücke unmittelbar nach dem Auftreffen auf der Netzhaut. Es nimmt evtl. Stärke des Lichts weg, schafft Konturen und Kontraste, interpretiert, und dergleichen mehr. Der Fotoapparat interpretiert im Grunde auch, weil ja eine Software dahinter steht.
        Es gibt keine objektive Wirklichkeit, immer ist da wer oder was, das interpretiert. Der Fotoapparat zeigt uns durch seine Existenz sehr schön, daß man immer ein Abbild sieht.
        In einem Teil von Asien, so zeigte Georg Northoff in einem seiner letzten Bücher, nimmt man eine Foto evtl. ganz unterschiedlich auf wie ein Europäer. Der Europäer sieht die Burg im Gebirgszug, der Asiate nimmt, wenn er gefragt wird, den Gebirgszug wahr. Das muß sich also auch neuronal widerspiegeln.
        Soviel aus meiner Laienkiste 🙂

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        Verfasst von kopfundgestalt | 26. Juni 2018, 09:47
      • Ja, das ist ein interessanter Problembereich. Sehen ist kulturell bedingt. Ich habe vor vielen Jahren von einer Untersuchung (aus der Vor-Fernsehzeit) gelesen, in der ein abgelegener Volksstamm mit bestimmten Fotos, in denen die Perspektive (z.B. ein Elefant von oben fotografiert) nicht anfangen konnten, weil ihm die Beine fehlten oder diese zu kurz waren. Inzwischen dürfte in der Hinsicht die ganze Welt weitgehend in die westliche (perspektivische) Sehweise einsozialisiert zu sein.

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        Verfasst von Joachim Schlichting | 26. Juni 2018, 17:21
  2. Ein sehr schönes Beispiel für Spiegelungen durch Glas und Wasser. Man muss sich in solche Bilder erst mal „hineindenken“, wenn man den Strahlengang verstehen will.

    Mich fasziniert schon lange, dass auf Fotografien bestimmte Spiegelungen (scheinbar?) deutlich stärker wahrnehmbar sind, als mit dem Auge. Ich nehme an, dass unser Gehirn im „Normalbetrieb“ störende Spiegelungen recht gut unterdrückt, so dass wir sie manchmal kaum sehen. Auf Fotos funktioniert das nicht. Ich kann mir das nur so erklären, dass man in der Realität meistens in Bewegung ist und das Gehirn die „richtige“ Bewegung der Strahlen auf der Retina erkennt und herausfiltert. Umso verblüffender sind dann die starken Spiegelungen auf Fotografien. Ich weiss nicht, ob das stimmt, ist nur eine Vermutung.
    LG Franz

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    Verfasst von FMR | 26. Juni 2018, 07:38
    • Das sehe ich genauso und es gilt nicht nur für Spiegelungen, sondern auch für andere faszinierende Phänomene des Alltäglichen. Dafür sind deine tollen Fotos ein sehr schönes Beispiel, das möchte ich an dieser Stelle ausdrücklich hervorheben. Man muss schon einen bestimmten Beobachtungsmodus „einschalten“, um zu sehen, was normalerweise übersehen wird. Im „Normalbetrieb“ werden offenbar alle Ablenkungen vom Alltagsgeschäft ausgeblendet und seien sie noch so auffällig, interessant und schön. Ich sage immer: Es reicht nicht aus, dass unsere Netzhäute belichtet werden, es muss auch einer hinter ihnen stehen, der die „Bilder“ bewusst wahrnimmt. Ich denke, dass es weniger physiologisch bedingt ist, sondern von der Einstellung im doppelten Wortsinn abhängt, ob man bestimmte Phänomene, die „fürs nackte Überleben“ nicht so wichtig sind, als solche sieht oder nicht. Bei mir stelle ich immer wieder fest, dass ich im Urlaub, bei Wanderungen, Flanieren u.ä. viel mehr sehe, als im Normalbetrieb. Gruß, Joachim.

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      Verfasst von Joachim Schlichting | 26. Juni 2018, 08:52

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  1. Pingback: Froststrukturierte Pfützensedimente | Die Welt physikalisch gesehen - 20. Januar 2019

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