Schaut man sich diese abendliche Alltagszene etwas genauer an, so entdeckt man, dass eine der Personen beim Überqueren der Straße in einer Grünphase einen Sprung zu machen bzw. nicht geerdet zu sein scheint. Was ihr fehlt, ist indessen nichts anderes als ihr Schatten. Damit schließt sich diese Szene direkt, an die Geschichte Adalbert Chamissos (1781 – 1838) über Peter Schlemihl* an. So wie der Mann in Grau Peters Schatten im Tausch mit dem Fortunati Glückssäckel übernimmt, so nimmt er ihm damit seine Bodenhaftung, was der Ärmste aber erst merkt, als es zu spät ist.
An einem sonnigen Tag ist der Schatten mehr als eine optische Zutat zur Realität, sondern wie die Unwirklichkeit der schattenlosen Person auf dem Foto zeigt, ein Teil derselben. So wie man sich von der Erde entfernt, und sei es nur, dass man beim Gehen den Fuß anhebt, entfernt sich der Schatten in derselben Weise, wie man bei einigen der Personen andeutungsweise erkennen kann.
Der Schatten ist also wichtig – so die in zahlreichen Varianten gedeutete Erzählung Chamissos – und zwar nicht nur im übertragenen, sondern auch im tatsächlichen Sinne. Dabei kommt es merkwürdigerweise gar nicht so sehr darauf an, ob beispielsweise in der Malerei der Schatten physikalisch korrekt wiedergegeben wird, sondern darauf dass die Verbindung zum Boden überhaupt vorhanden ist. Man schaue sich dahingehend beispielsweise in Kunstmuseen beliebige Gemälde von Personen an. Erst durch genaueres Hinsehen wird man erkennen, dass in manchen Fällen die Schatten nicht „stimmen“ oder nur als schematische Zutat gemalt oder gezeichnet wurden.
Schatten von Lebewesen haben mich schon als Kind beeindruckt. Ich erinnere mich an mein Erstaunen darüber, dass der Schatten, der sich von auffliegenden Vögeln schnell entfernt und verschwindet beim Landen der Vögel immer wieder zum richtigen Urheber zurückfindet.
* Adalbert Chamisso: Peter Schlemihls wundersame Geschichte.
Lieber Joachim, Schatten sind ein sehr interessantes Thema, finde ich, aber aufgepasst: du hast dem Fußgänger den Schatten geraubt, hoffentlich verklagt er dich nicht wegen missbräuchlicher Verarbeitung persönlicher Daten! Hübsch die Vorstellung, ein Schatten könne sich verirren und an den falschen Vogel heften. ja,Schatten gehören zur Welt genauso wie das Licht. Weil sie dunkel sind,werden sie oft übersehen. Und beim Malen wird ihnen selten genügend Aufmerksamkeit geschenkt – weder farblich noch in der Form. Dali spielt sehr geschickt das surreale Verwirrspiel, indem er Schatten falsch platziert.
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Genau so ist es, liebe Gerda. Ich habe mich als Mann in Grau betätigt und das alles vom Schreibtisch aus. Vielen Dank für deinen erhellenden Kommentar, der eine schöne Ergänzung zu meinen Ausführungen ist und einmal mehr das Thema Schatten in der Kunst bewusst macht.
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Lieber Joachim, iiIch verstehe nicht, wieso der Schatten bei der Person so verkürzt ist,
Schematische Darstellungen findet man auch bei…Ohren in der Malerei. Kaum einer macht sich Mühe, Ohren zu studieren.
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Wie Gerda richtig feststellt, habe ich der Person den Schatten geraubt, um durch sein Fehlen und die damit verbundenen Folgen auf ihn aufmerksam zu machen. Die Ohren in der Malerei sind mir bislang noch nicht so richtig bewusst geworden. Danke für den Hinweis. Gruß, Joachim.
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Achso! Darauf wäre ich nicht gekommen.
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Schatten scheint insgesamt für die instinktive Wahrnehmung von Mensch und Tier wichtig zu sein, nicht des Menschen Gefühl, dass die Welt in Ordnung scheint, wenn sie sich in bestimmter Weise den umgebenden Gegenständen und Lebewesen zuordnen lassen. Vögel und Kleintiere flüchten vor dem Schatten des Greifvogels, der ihnen dessen Anwesenheitin grösserer Höhe verräterisch „nahebringt“.
Die beeinträchtigenden Auswirkungen des Schattenwurfs von Windrädern kommt mir dazu auch in den Sinn.
Ausserdem muss ich gleich Ougenweide’s „Schlemihl“ suchen und wieder einmal anhören, danke dafür 🙂
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Vielen Dank für die interessante Ergänzung zum Thema Schatten. Er ist eben keine rein optische Angelegenheit, sondern hat Wirkung und Bedeutung über die menschliche Wahrnehmung hinausgehend. Dein Hinweis auf die Windräder führt einen in der Form wohl noch nie dagewesenen neuen Aspekt zum Thema Schatten vor Augen. Mit dertiefstehenden Sonne im Rücken auf den bewegten Schatten der Flügel blickend kann man wegen der irren perspektischen Verzerrungsaspekte geradezu psychodelische Erfahrungen machen. Naja, nicht ganz, aber fast.
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In alten schwarz/weiß Krimifilmen Edgar Wallace und insbesondere Alfred Hitchcock hat mit dem Schatten meisterhaft gespielt! Ja aufjedenfall, da liegt eine große Faszination drin! 👍😁
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Stimmt, an diesen Aspekt hatte ich gar nicht gedacht. Der Schatten ist eben nicht nur ein physikalisches Phänomen, sondern eine mehrperspektivische Metapher in fast allen (kulturellen) Bereichen. LG, Joachim.
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