H. Joachim Schlichting. Spektrum der Wissenschaften 9 (2019), S. 58 – 59
Er schüttelt es ab,
wie der Hund den Regen
Karl Simrock (1802 – 1876)
Viele Landtiere trocknen ihr nasses Fell besonders effektiv, indem sie ihren Körper schnell hin und her drehen. Das überträgt große Kräfte auf das anhaftende Wasser, wodurch es zu den Haarspitzen drängt und sich dort rasch ablöst.
Wer neben einem Hund steht, der sein nasses Fell schüttelt, merkt sofort: Die Trocknungstechnik ist äußerst gründlich. Ein Großteil des im Pelz steckenden Wassers wird innerhalb weniger Sekunden ringsum davon geschleudert. Ein wasserliebender Hund geht deswegen selbst bei Temperaturen, die unsereins nicht gerade zum Baden einladen, ohne Zögern gewissermaßen mit voller Bekleidung schwimmen.
Beim Eintauchen verdrängt das Wasser die im Fell enthaltene Luft teilweise. Es leitet Wärme wesentlich besser und erhöht deren Transport vom Körper zur Umgebung um einen Faktor von etwa zwölf. Dadurch droht nach dem Bad Unterkühlung: Würde er warten, bis alles von selbst verdunstet und er wieder trocken ist, verlöre ein 30 Kilogramm schwerer Hund mit 500 Gramm Wasser im Fell rund 20 Prozent der Energie, die er pro Tag mit der Nahrung aufnimmt.
Den kühlenden Effekt nasser Haut spürt jeder augenblicklich, der nach einem Bad aus dem Wasser steigt. Selbst bei eigentlich angenehmen Temperaturen lässt einen der kleinste Windhauch frösteln. Da Landtiere in ihrem dichten Pelz große Mengen Wasser speichern, ist ihre Situation deutlich dramatischer. Ein trockener Körper kann für sie überlebenswichtig sein!
Wie viele Materialien ist auch das Fell eines Hunds weitgehend »hydrophil«, das heißt, Wasser haftet ziemlich hartnäckig daran. Denn die Ausbildung einer Grenzfläche zwischen Härchen und Wasser benötigt weniger Energie als eine Grenzfläche zur Luft. Dadurch entsteht eine Adhäsionskraft. Um sie zu überwinden und Tröpfchen aus dem Fell zu lösen, ist eine entsprechende Gegenkraft nötig. Tropfen mit einer bestimmten Mindestgröße und einer verhältnismäßig kleinen Kontaktfläche mit den Haaren fallen in der Regel bereits auf Grund der Schwerkraft. Die überwiegende Menge der anhaftenden Feuchtigkeit bleibt aber erst einmal hängen.
Um das Wasser loszuwerden, schütteln sich viele Tiere, setzen also ihren Körper und damit das durchnässte Fell starken Bewegungen aus. Erst, wenn die Kraft, mit der die Wasserteilchen auf eine Kreisbahn gezwungen werden, die jeweilige Adhäsionskraft übersteigt, mit der das Wasser an den Haaren anhaftet, reißt dessen Verbindung zum Fell. Die nunmehr befreiten Tropfen bewegen sich nach dem Trägheitsprinzip gleichförmig geradlinig weiter. Oder besser: Sie würden es tun, wenn da nicht noch die allgegenwärtige Schwerkraft wäre. Diese zwingt sie je nach Ablösegeschwindigkeit auf eine Wurfparabel. Ein sich schüttelnder, nasser Hund ist darum von einer Wolke umgeben, in der Tropfen diverser Größe auf verschiedensten Bahnen davon fliegen.
Das Prinzip der Trocknungsmethode wird auch technisch genutzt. Im Schleudergang einer Waschmaschine beschleunigt die Trommel die nasse Wäsche auf so hohe Rotationsgeschwindigkeiten, dass sich ein großer Teil des anhaftenden Wassers von den Fasern löst und durch die Löcher der Trommel entkommt. Hier dauert der Prozess mehrere Minuten, wohingegen sich ein Hund in sehr kurzer Zeit ziemlich gründlich entwässert. Was ist das Geheimnis pelziger Tiere, das sie so schnell trocknen lässt?
Diese Frage haben US-Wissenschaftler um David L. Hu vom Georgia Institute of Technology in Atlanta genauer untersucht. Unterstützt vom örtlichen Zoo vermaßen die Forscher verschiedene Säuger, spritzten sie nass und filmten sie mit Hochgeschwindigkeitskameras beim Trockenschütteln. Dieses beginnt im Allgemeinen mit einer schnellen Drehung des Kopfes. Mit einer gewissen Phasenverschiebung folgt der übrige Körper, wobei das Rückgrat etwa 30 Grad weit in die eine und andere Richtung gedreht werden kann. Doch die leicht verschiebbare Haut rotiert noch viel weiter – bis zu 90 Grad zu beiden Seiten – und deutlich schneller als die Wirbelsäule selbst. Dabei dürften neben der Trägheit, mit der die Hautpartien die Bewegung noch eine Zeit lang beibehalten, elastische Kräfte aus der Verbindung zum übrigen Körpergewebe im Spiel sein. Sie zerren an der Haut wie Gummibänder. Jedenfalls sind die herauskatapultierten Wassertropfen den Berechnungen der Forscher zufolge Kräften vom 10- bis 70-Fachen der Gravitation ausgesetzt. Angesichts solcher Beschleunigungen schließen die Tiere dabei die Augen, um diese vor Verletzungen zu schützen.
Beim Trocknen durch Schütteln lösen sich zunächst die Tropfen, die an den Spitzen der Haare anhaften. Gleichzeitig rückt Feuchtigkeit aus tieferen Schichten nach. Es wird dann im nächsten Drehzyklus abgelöst. Das setzt sich fort, bis der Nachschub versiegt und das Fell hinreichend entwässert ist.
Die Kraft, mit der die Tropfen beschleunigt werden, variiert und hängt vom Krümmungsradius der Bewegung ab – je größer das Tier, desto mehr Schwung entsteht. Deswegen müssen sich kleinere Säuger mit einer höheren Frequenz schütteln, um Wassertropfen unter sonst gleichen Bedingungen loszuwerden. Ein Labrador Retriever trocknet sich typischerweise mit einer Frequenz von 4,5 Hertz (Schwingungen pro Sekunde). Eine Maus braucht dagegen unglaubliche 29 Hertz – das ist schneller, als wir mit dem Auge wahrnehmen können. Die Forscher verknüpften anhand eines quantitativen Modells die Masse eines Tiers recht genau mit der nötigen Schüttelfrequenz.
Wer das nächste Mal neben sich einen Hund aus dem Wasser kommen sieht, sollte also vielleicht einmal in Ruhe hinschauen, statt hastig auf Distanz zu gehen. Dann wird man zwar nass, aber zugleich Zeuge eines äußerst interessanten physikalischen Vorgangs.
Quelle
Dickerson, A.K. et al.: Wet mammals shake at tuned frequencies to dry. Journal of the Royal Society Interface 9, 2012
der Titel ließ mich schmunzeln …
daß die Haut sich so viel doller weiterdreht ist schon erstaunlich! Ich dachte bisher, daß das eine Eigenschaft der alternden Haut ist😆
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Bin wieder im Land.
Irgendwie hat mich das tierische Trocknen an die Wäscheschleuder erinnert. Dass diese Beweglichkeit der Haut auch noch einen ganz praktischen Sinn macht, hat mich zur Beschäftigung mit dieser Thematik veranlasst.
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Instruktiv. die Maus-Schüttelfrequenz ist ertaunlich. Mein Hund schüttelt sich übrigens immer, wenn er aufsteht. Warum das? Lockerung der Muskeln, Erneuerung der Luft im Fell? Ins Wasser geht er möglichst nicht, und wenn, dann nur mit den Beinen. Ist ein Jagdhund mit Kurzfell.
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So, jetzt bin ich wieder im Lande. Dein Hund beweist einmal mehr, dass die lockere Haut nicht nur zum Trocknen da ist, sondern auch noch andere positive Funktionen erfüllt, z.B. das Lockern nach dem Liegen. Auch wir Menschen verfügen ja über einge gewisse Fähigkeit, die Haut relativ zum darunter liegenden Gewebe zu bewegen, z.B. die Kopf- und Gesichtshaut. Auch das bringt – bei mir zumindest – positive Gefühle.
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Ein sehr interessanter Beitrag. Ist den Tieren diese Frequenz angeboren oder ergibt sich das aus der Erfahrung? Spürt man eine Resonanz? Gibt es auch eine Frequenz für uns Menschen, eine gewisse Behaarung vorausgesetzt? Ich muss das beim nächsten Mal Schwimmen ausprobieren – wenn keiner zuschaut.
Unser Hund hatte übrigens Schlappohren, was beim Schütteln nicht immer praktisch ist. Die Blutgefäße im Ohr können reißen. Da schwillt dann das Ohr an und es dauert, bis sich das wieder auflöst. Schlappohren sind also nicht immer ein Vorteil in der Evolution.
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Die Frequenz ergibt sich bei den Tieren weitgehend aus ihrer Größe, bzw. der Größe der beteiligten Körperpartien, die wie bei einem Pendel gewisse bevorzugte Eigenfrequenzen aufweisen. Ganz grob formuliert kann man sagen, je kleiner das Tier desto größer die Schüttelfrequenz. Beim Menschen ist die Verschiebbarkeit der Haut gegenüber dem darunter liegenden Gewebe offenbar begrenzt. Zumindest bei mir. Und durch Schütteln bringe ich sie auch nicht so richtig in Schwung 🙂 . Und was die Schlappohren eures Hundes betrifft, so kann ich nur sagen, dass die Züchtungen nicht immer in Einklang mit anderen körperlichen Gegebenheiten erfolgt. Eurem Hund solltet ihr daher die Notwendigkeit zum Schütteln ersparen…
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Ein feiner Artikel, lieber Joachim!
Tier können offenbar Physik! 😉
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In einer Prüfung würden sie trotzdem durchfallen 😉
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Kommt auf die Prüfungen an 😉
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🙂
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