Auch wenn meiner Beobachtung nach der Brauch, Herzen und Innitalien in der Rinde eines Baumes zu schnitzen im Abklingen begriffen ist, entdeckt man sie doch immer mal wieder. Manche sind bereits uralt und man fragt sich zuweilen, ob es zu diesen Zeichen ewiger Liebe auch eine reale Entsprechung gibt .
Dieser alte Brauch wird auch in der Literatur immer wieder angesprochen und in literaturwissenschaftlichen Arbeiten diskutiert. Um zu zeigen, zu welch tiefschürfenden Untersuchungen diese meist als Spielerei jugendlicher Verliebter abgetane Tätigkeit führen kann, hier eine Passage aus einer wissenschaftlichen Arbeit:
„Verliebte, die ihr Gefühl nicht für sich behalten wollen. Als Markierung dieses Gefühls werden die Namen oder Namenskürzeln von Liebenden und Geliebtem in die Mitte des Herzens gesetzt und mit dem mathematischen Zeichen für Addition „+“ verbunden (unteres Foto). Dabei wird die Verliebtheit halböffentlich symbolisiert, indem eine Namensnennung der beiden erfolgt. Dies geschieht aber in der Natur und hat keine rechtliche Bindung. Der Baum gehört dem Wald an, welcher ein Nicht-Ort ohne ausgebaute Wege ist, der auch in die Irre führen kann. In der Festigkeit des aufrecht stehenden Holzes liegt eine Starre der Linie, die auf den Baum der Einritzung als phallischen deutet. Die Verletzung der Baumrinde jedoch verweist darauf, dass diese bereits nicht mehr dem Garten Eden zugehört, sondern allgemein als pflanzliche Grundlage von Papier ein fundamentales Material des Textkörpers bildet, in welchen der Einschnitt der Sprache kryptisch markiert (was implizit auch in der Erfahrung jeder Lektüre um Ausdruck kommt). Wenn bei der Gravur der Rinde die Anfangsbuchstaben der Beteiligten oder häufig auftretende Vornahmen verwendet werden, wird die tatsächliche Identität damit vertretenen Personen nicht offenbar. So befindet sich der Brauch in einem Grenzbereich zwischen Veröffentlichung und Verheimlichung und impliziert eine Einsamkeit des Schreibenden“.*
Angesichts einer Schnitzerei aus dem Jahre 1961 (oberes Foto), die nach wie vor in bequemer Schnitzposition prangt, wurde ich gefragt, warum die in all den Jahren nicht mit dem Baum in die Höhe gewachsen sei. Daraus und aus einigen weiteren Umfragen entnahm ich, dass im naiven Verständnis des Baumwachstums, der Baum gewissermaßen aus der Wurzel heraus hochgetrieben werde. Tatsächlich wächst der Baum an den Spitzen der Triebe in der Krone nach oben und durch die Vergrößerung einer direkt hinter der Rinde liegenden lebenden Schicht in die Breite. Wenn man also den sich nach oben verjüngenden Baum näherungsweise als einen Kegel ansieht, dürfte damit über viele Jahre gesehen allenfalls ein sehr kleiner Anstieg der Schnitzereien erfolgen.
Erwähnt werden sollte auch noch, dass die arglos gefertigten Schnitzereien eine Verletzung des Baumes darstellen, die zwar in vielen Fällen durch entsprechende Verwachsungen vom Baum bewältigt werden, aber die Verletzung könnte auch ernsthafte Folgen haben.
*Monika Leipelt-Tsai. Agression in lyrischer Dichtung. Bielefeld 2008, S. 319
Du meine Güte, was es für „wissenschaftliche“ Arbeiten gibt ……. obendrein VornaHmen 🙂
Junge, Junge, wer der Jugendlichen Namensschnitzer hätte das gedacht (bezieht sich auf den zitierten Text, der natürllich höchst gelehrt und nachdenkenswert ist). Deinen Hinweis auf das Baumwachstum werde ich mir merken: er wächst nicht von der Wurzel aus, sondern in den Spitzen. Das habe ich schon tausendmal beobachtet -insbesondere an unserer Pinie, die jedes Jahr wunderbare neue hellgrüne Spitzen treibt und in wenigen Jahren mächtig gewachsen ist – aber wirklich bewusst gemacht habe ich es mir nicht. Und nun frage ich mich;wie wachsen wir Menschen eigentlich?
Zum Thema fiel mir sogleich das von Schubert vertonte Lied vom Lindenbaum ein: Am Brunnen vor dem Tore…“Ich schnitt in seine Rinde So manches liebe Wort; Es zog in Freud und Leide Zu ihm mich immer fort“
Ich denke beim Menschen ist es anders. Beispielsweise werden die Knochen länger und damit der Mensch größer… Das Problem ist deshalb schwierig zu beschreiben, weil alle Zellen von Lebewesen über kurz oder lang erneuert werden.
Ja, an den Brunnen vor dem Tore wird man durch die Schnitzereien sofort erinnert. Aber irgendwie schwingt darin – jedenfalls für mich – auch eine vergangene Zeit mit.
Es gab einen Baum im Walde, an dessen abggeschnittenen Ast ich Klimmzüge machte. Jahre später war der Ast unerreichbar hoch plaziert. Und Jahre später war der Baum gefällt.
Sollte eigentlich nicht so sein. Ich habe genau die entgegengesetze Erfahrung mit einem Nussbaum gemacht. Obwohl der Baum mit den Jahren in die Höhe schnellte, war mein Klimmzugast immer noch an der gleichen Stelle… 😉
Beweisen kann ich es natürlich nicht.
Aber vermutlich erlag ich einer Täuschung und der Baum wurde gefällt.
Also war meine jahrelange Trauer, nicht mehr Klimmzüge vollführen zu können, umsonst.
🙂
Es ist vielleicht nicht immer so. Ich meine, auch schon solche „Verzierungen“ gesehen zu haben, die schon so weit höher gewachsen waren, dass man den Kopf ins Genick legen musste…
Mal wieder ein schönes Augenmerk hier!
Man weiß, dass manche Schnitzer den Ehrgeiz haben, ihre Botschaft dem Zugriff anderer zu entziehen und sie möglichst hoch anzubringen. Ich habe vor einiger Zeit eine relativ frische Schnitzerei gefunden, die ebenfalls ziemlich hoch gelegen war.
Ja, ich habe mich auch gewundert, dass die Schnitzereien in Bäumen davon nicht unberührt bleiben.
Nun ja, obwohl es ja eigentlich die Borke ist… 🙂
Meistens gehen auch die Paare in die Breite, so sie noch zusammen sind 😃
Man sollte sich also davor hüten, sich in Bäumen zu verewigen, die in die Breite gehen 😉
Ich habe das mal in einem Kaktus gemacht, der war dann aber im nächsten Jahr weg…
Dann war das wohl nicht einer der großen Kakteen auf Gran Canaria, in denen zahlreiche Inschriften verewigt waren…
Ne, das war auf einer anderen Insel und die Kaktee war auch nicht groß. Das konnte jemand leicht wegtreten, z.b.