Ich saß in der Sonne und las; dabei wurde ich mit starken Lichtkontrasten konfrontiert. Ich musste mich schon geeignet hinsetzen, damit das Buch entweder voll im Licht oder voll im Schatten lag. Das Auge mag das Nebeneinander krasser Intensitätsunterschiede nicht besonders gerne. Bei dieser Gelegenheit fielen mir Schatten ganz unterschiedlicher Intensität auf (siehe Foto).
Über die Mitte des gebogenen Blattes zieht sich ein dunkler Streifen, der zu beiden Seiten hin heller wird. Die gekrümmte Buchseite liegt teilweise im Licht der von links einfallenden Sonne. Die gekrümmte Seite wird tangential vom Licht gestreift. Unterhalb dieses Steifens, also rechts davon wird sie nicht mehr vom direkten Sonnenlicht getroffen. Sollte sie nicht ebenso im Kernschatten liegen wie der durch sie abgeschirmte Bereich der rechten Buchseite? Man sollte erwarten, dass der „Terminator“* auf der linken Seite scharf begrenzt ist, so wie der Schatten auf der rechten Seite.
Dass das nicht der Fall ist, liegt an der Rauigkeit des Papiers, dessen winzige unregelmäßig verteilten Vertiefungen bei streifendem Lichteinfall auch noch winzige Lichtsträhnen bis weit in den Schattenbereich hinein durchlassen und zu einer leichten Aufhellung führen.
Hinzu kommt, dass das Licht teilweise durch das leicht transluzente Blatt Papier hindurch geht und dabei die dunkle Schrift der Rückseite stärker hervortreten lässt als an Stellen, an denen das Licht steiler einfällt.
Erstaunlich erscheint hingegen die Aufhellung der gekrümmten Seite innerhalb des Schattenbereichs. Hier würde man zunächst den vollen Kernschatten erwarten, weil das Sonnenlicht vollkommen abgeschirmt wird. Die Aufhellung verdankt sich dem im vollen Licht liegenden Teil der rechten Buchseite, die das Licht diffus in alle Richtungen reflektiert und das daher insbesondere den ihr zugewandten Teil der gekrümmten Buchseite trifft. Auch hier wieder keine abrupte Grenze zwischen Hell und Dunkel.
* So nennt man die Grenzlinie Tag- und Nachtgrenze beispielsweise auf dem Mond, wie sie etwa beim Halbmond zu sehen ist.
Ich mag die Beobachtungen von Schatten, Joachim. Als Künstlerin ist genau diese Beobachtung wichtig, um ein Bild so darzustellen, dass es Volumen besitzt.
Einen schönen Tag von Susanne
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Das leuchtet mir unmittelbar ein, liebe Susanne, Schatten „richtig“ zu setzen gehört zum Darstellungsrepertoir der Künstler*innen. Allein um beispielsweise einen Apfel räumlich zu malen, muss man die Schattierungen beherrschen. Ich bin immer wieder erstaunt, wie du und andere Künstler*innen es immer wieder schaffen, mit ein paar wohgesetzten Strichen, dem gerecht zu werden.
Auch dir einen schönen Tag und liebe Grüße, Joachim.
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Lieber Joachim, ich habe gerade in einem Seminar an der Uni gehört, dass jeder Künstler sein Motiv habe, an dem er sich ein Leben lang abarbeitet. Das soll bei Czecanne der von dir genannte Apfel gewesen sein.
Einen schönen Freitag von Susanne
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Merkwürdig. Genau daran hatte ich gedacht. Dir auch einen schönen Tag! Joachim
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danke für die Erklärungen. Beim Zeichnen bin ich ständig mit solchen „merkwürdigen“ Schattenverläufen konfrontiert, und es ist nicht einfach, die richtige Intensität und vor allem die Übergänge zB auf der Hand wiederzugeben. Sogar das Erkennen ist nicht immer einfach. Denn anders als beim Schwarz-weiß des Buches können einen die Lokalfarben verwirren.
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Bei der Herstellung von realistisch wirkenden Filmen am Computer müssen diese Dinge nicht nur qualitativ erfasst werden, sondern auch quantitativ, also formelmäßig. Du als Künstlerin hast umgekehrt die Freiheit, über diese Schatten im Sinne deiner geplanten „Wirkungen“ frei zu verfügen. Und du hast natürlich recht, dass diese Schatten nicht immer leicht zu erkennen sind, weil zahlreiche stillschweigende Voraussetzung dessen was man zu sehen erwartet in die Wahrnehmung mit hineinspielen.
Bei Farben treten noch ganz andere Effekte auf (z.B. blickwinkelabhängige Veränderungen der Farben), deren Details insbesondere von den Maler*innnen gut bedacht sein wollen. Daher rührt auch teilweise die völlig andere Wirkung, wenn du deine Zeichnungen mit Computerprogrammen farbig unterlegst/veränderst.
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Hopper setzte gerne Farben ein, die so nicht zu erwarten waren. Nicht zu erwarten im Sinne einer harschen expressivität, sondern in einer Überzeichnung, die geführt irritierend wirkte.
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Daraus dass Hopper Erwartungen nicht „bedient“ resultiert ein Großteil der Wirkung seiner Bilder. Man ist überrascht und muss lange „suchen“ was an seinen ansonsten sehr realistisch gehaltenen Bildern anders ist.
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