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Didaktik, Geschichte, Wissenschaftstheorie, Marginalia

Wollen Sie vielleicht Physik lernen?

In der Belletristik kommen oft Einlassungen über die Physik vor. Erstaunt hat mich insbesondere eine Beschreibung, die in Molière‘s Komödie „Der Bürger als Edelmann“ zu lesen ist. Bei der Suche nach einer sinnvollen Beschäftigung schlägt der Philosophielehrer dem Herrn Jourdain u.a. vor, Physik zu lernen. Wörtlich heißt es da:

„PHILOSOPHIELEHRER: Wollen Sie vielleicht Physik lernen?
HERR. JOURDAIN: Was lehrt sie denn, diese Physik?
PHILOSOPHIELEHRER: Die Physik erklärt die Grundgesetze der natürlichen Vorgänge und die Eigenschaften der Körper, die Natur der Elemente, der Metalle, Mineralien, Gesteine, Pflanzen und Lebewesen und lehrt uns, wie Meteore, wie ein Regenbogen entstehen, wie Irrlichter, Kometen, Blitz und Donner, Gewitter, Regen, Schnee, Hagel, Winde und Luftwirbel zustande kommen.
HERR JOURDAIN: Da ist mir zuviel Getöse dabei, zuviel Wirrwarr.“*

Molière lebte von 1622 bis 1673, seine Lebensdaten überschnitten sich also mit denen der Begründer der neuzeitlichen Physik wie Johannes Kepler (1571 – 1630) und Galileo Galilei (1564 – 1642). Interessant ist insbesondere, dass der Schauspieler und Dramatiker Molière eine erstaunlich zutreffende Beschreibung gibt, die abgesehen davon, dass einige Betätigungsfelder inzwischen in eigene Disziplinen übergegangen sind, volle Gültigkeit besitzt.
Was die Antwort Jourdains hinsichtlich des Getöses betrifft, so sieht der erste deutsche Experimentalphysiker Georg Christoph Lichtenberg (1742 – 1799) gut 100 Jahre später gerade in dem akustischen Aspekt des physikalischen Experimentierens ein wichtiges didaktisches Moment, wenn er sagt: „Ein physikalischer Versuch, der knallt, ist allemal mehr wert als ein stiller; man kann also den Himmel nicht genug bitten, daß, wenn er einen etwas will erfinden lassen, es etwas sein möge, das knallt; es schallt in die Ewigkeit.“**
So ändern sich die Zeiten.


* Molière: Der Bürger als Edelmann.Moliere. Komödien. Atemis & Winkler: München 1993, S,. 780
**Georg Christoph Lichtenberg. Sudelbücher. München  1987 (F 1138)

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Diskussionen

21 Gedanken zu “Wollen Sie vielleicht Physik lernen?

  1. Lieber Joachim,
    mich interessiert ja das Getöse immer wieder. 😉
    Ich hatte zu Schulzeiten einen tollen Physiklehrer, es war das einzige Fach dem ich etwas hinter getrauert habe.Heute lese ich mal dies, mal das und immer wieder gerne auch bei dir 🙂
    Liebe Grüße
    Ulli

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    Verfasst von Ulli | 23. Januar 2020, 00:09
    • Vielen Dank, liebe Ulli! Leider sprechen nicht sehr viele so positiv über die Physik. Es ist nach wie vor eines der unbeliebtesten Fächer. Dagegen muss man etwas tun… 🙂
      Liebe Grüße, Joachim.

      Gefällt 3 Personen

      Verfasst von Joachim Schlichting | 23. Januar 2020, 08:42
      • Gerade in Chemie und Physik scheint mir Didaktik besonders wichtig…

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        Verfasst von kopfundgestalt | 23. Januar 2020, 12:00
      • Das denke ich auch. Vor allem aus Gründen von denen ich einen in meinem vorigen Kommentar angedeutet habe.

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        Verfasst von Joachim Schlichting | 23. Januar 2020, 15:18
      • Ich kann mich erinnern, daß mir – etwa – der Begriff „Coevolution“ in der Biologie streikend unverständlich war. Wie sollte es vor sich gehen, daß Tiere und Pflanzen eines Habitats gemeinsam etwas schaffen, das sauber und erfolgreich abgestimmt ist? Etwa daß die Schwebfliege ähnlich gemustert ist wie die stachelbewehrte Wespe? Und daß sich diese vor allem zeitgleich so entwickelten?!
        Man müsste dann als Biologe in das „Kerngewebe“ gehen, da wo sich grundlegende Missverständnisse „eingenistet“ haben. Ohne diesen Zugang „zum Kerngewebe“ spricht man immer nur aneinander vorbei.

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        Verfasst von kopfundgestalt | 23. Januar 2020, 16:34
      • In der Tat, solche Begriffe, hinter denen eine oft komplexe Problematik steckt, sind für Laien – und Lernende sind nun einmal Laien, die diesen Status überwinden wollen/sollen – nur in einer längeren und oft intensiven Auseinandersetzung zu verstehen.

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        Verfasst von Joachim Schlichting | 23. Januar 2020, 16:49
      • Ich dachte immer es wäre Chemie …

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        Verfasst von Ulli | 23. Januar 2020, 13:04
      • Die beiden Fächer tun sich nicht viel in ihrer Unbeliebtheit, weil die Gründe ähnlich sind. Deine positivere Einschätzung zur Physik liegt wohl an deinem guten Physiklehrer.

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        Verfasst von Joachim Schlichting | 23. Januar 2020, 15:22
      • Auch ja, aber noch mehr an der Nachvollziehbarkeit, Chemie war mir als junges Ding zu abstrakt. In der Physik konnte ich be-greifen!

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        Verfasst von Ulli | 23. Januar 2020, 19:23
      • Das hängt zwar auch wieder vom Lehrer ab, aber generell habe ich es als Schüler ebenso empfunden. Als Physikstudent musste ich ja auch einige Vorlesungen und Praktika in Chemie absolvieren; da war dann das physikalische Vorwissen sehr hilfreich. LG, Joachim.

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        Verfasst von Joachim Schlichting | 23. Januar 2020, 21:01
  2. Klasse Zitate! Schmunzel 😁
    Dankeschön für’s Zeigen und Präsentieren…
    Herzliche Morgengrüße vom Lu

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    Verfasst von finbarsgift | 23. Januar 2020, 07:24
  3. mich erinnert das an den Pennälerspruch: „Chemie ist das was knallt und stinkt, Physik ist das, was nie gelingt.“ so ungefähr sah dann auch die Wirklichkeit aus – also das Verständnis, das uns über die Vorgänge der Natur vermittelt wurde. Ich habe Physik nur deshalb überhaupt überlebt, weil es zum großen Teil aus Mathematik bestand. Der Rest war mir vollkommen undurchschaubar: hier ein Reagenzglas, dort ein Hebel.
    Doch bin ich sehr interessiert an allem, was mir die Naturprozesse verstehbar macht und ihre Erfoschung geistesgeschichtlich einbettet. Und daher ist mir dein Blog so wertvoll.

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    Verfasst von gkazakou | 23. Januar 2020, 10:51
    • Ja, im Physikunterricht läuft nach wie vor einiges falsch. Umsonst ist es nicht so unbeliebt. Deine Schilderung kann ich gut nachvollziehen, weil ich selbst auch einen schlechten Physikunterricht in der Schule hatte und erst nach Umwegen während des Studiums zur Physik gekommen bin. Es muss einfach mehr gelingen, im Unterricht den Alltag der Lernenden einzubeziehen. Danke insbesondere für den letzten Satz.

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      Verfasst von Joachim Schlichting | 23. Januar 2020, 11:25
      • Mein Physiklehrer war überfordert, er schnaubte wie ein Zug, der eine senkrechte Wand hoch muss. So hatte ich ihn auch für die Schülerzeitung zeichnerisch charakterisiert.
        Kann sein aber,aus heutiger Sicht, dass er nur krank war.

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        Verfasst von kopfundgestalt | 23. Januar 2020, 11:57
      • Das mag ein Einzelfall sein, der auch für ander Fächer zutreffen kann. Aber es ist schon auffällig wie stark doch ein guter Physikunterricht von den Lehrpersonen abhängt. Sie müssen – anders als in den meisten anderen Fächern – den Wechsel von der lebensweltlichen in die physikalische Sehweise schaffen. Nicht sagen: Es ist doch einfach beim freien Fall, du musst dir nur den Luftwiderstand wegdenken. Sondern: Es muss dir (dem Lernenden) wirklich merkwürdig vorkommen, dass die Physiker auf die Idee kommen, alle Körper fallen gleich schnell. Aber lass dich vielleicht mal probehalber darauf ein und wir schauen mal, was uns das bringen könnte.

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        Verfasst von Joachim Schlichting | 23. Januar 2020, 15:16
      • Für den erfahrenen Physiker sind die Gesetze der Physik nicht mehr erstaunlich. Er kann so oft gar nicht mehr wissen, was den Normalbürger „stört“. Nötig wäre sozusagen eine Rückfuhrung des Wissenden.

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        Verfasst von kopfundgestalt | 23. Januar 2020, 16:25
      • So ist es.

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        Verfasst von Joachim Schlichting | 23. Januar 2020, 16:42
  4. Jourdain wünscht offenbar einige wenige Regeln, vielleicht das Universalgesetz und nicht „Auslegungen“ der Natur, die sich gefühlt gebärden wie Zweige eines Urwaldbaumes.

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    Verfasst von kopfundgestalt | 23. Januar 2020, 11:54

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