In manchen chaotisch strukturierten Rippelfeldern in der Wüste findet man zuweilen Muster, die oft der Sache nicht angemessene aber hartnäckige Assoziationen auslösen. Als ich dieses Foto einordnete fand ich es ganz normal, es mit Rippelpferd zu bezeichnen, genau durch diese Assoziation wurde es aus dem Einerlei des chaotischen Kontexts herausgehoben. Solche Pareidolien kennt man zur Genüge aus anderen Bereichen. Man denke nur an den Erlkönig.
Gerda Kazakou hat mich vor einiger Zeit angesichts eines ähnlichen Fotos auf eine tiefere Metaphorik aufmerksam gemacht, mit der Novalis seine „Lehrlinge zu Sais“ beginnt:
Mannigfache Wege gehen die Menschen. Wer sie verfolgt und vergleicht, wird wunderliche Figuren entstehen sehn; Figuren, die zu jener großen Chiffernschrift zu gehören scheinen, die man überall, auf Flügeln, Eierschalen, in Wolken, im Schnee, in Kristallen und in Steinbildungen, auf gefrierenden Wassern, im Innern und Äußern der Gebirge, der Pflanzen, der Tiere, der Menschen, in den Lichtern des Himmels, auf berührten und gestrichenen Scheiben von Pech und Glas, in den Feilspänen um den Magnet her, und sonderbaren Konjunkturen des Zufalls, erblickt. In ihnen ahndet man den Schlüssel dieser Wunderschrift, die Sprachlehre derselben, allein die Ahndung will sich selbst in keine feste Formen fügen, und scheint kein höherer Schlüssel werden zu wollen. Ein Alkahest scheint über die Sinne der Menschen ausgegossen zu sein. Nur augenblicklich scheinen ihre Wünsche, ihre Gedanken sich zu verdichten. So entstehen ihre Ahndungen, aber nach kurzen Zeiten schwimmt alles wieder, wie vorher, vor ihren Blicken*.
Novalis: Dichtungen und Fragmente. Leipzig 1989, S. 162
fantastisch, das Rippelpferd! Danke auch für das Zitieren dieses magischen Textes. Irgendwie scheint er mir grad sehr tröstlich. Vielleicht wegen des Alkahest, das über unsere Sinne ausgegossen ist, so dass wir zwar immer mal einen kurzen klaren Moment haben, wo sich eine Ahnung bildet, wohin es mit uns und unserer Welt geht, aber dann wieder Nachtschwärze sich ausbreitet. Schwierige Zeiten.
LikeGefällt 2 Personen
Das hast du sehr schön in Worte gefasst. Der Novalistext geht in der Tat weit über das Rippelpferd hinaus.
LikeGefällt 1 Person
Nachtschwärze auch deswegen, weil jetzt offenbar verstärkt Fakes ausgeschüttet werden?!
LikeLike
Ich kann mich nur Gerda anschließen, verzichte auf Wiederholungen, sage aber von Herzen Danke.
Liebe Grüße
Ulli
LikeLike
Danke, liebe Ulli, Novalis hatte schon ein tolles Gespür für das an sich Unsagbare. Liebe Grüße, Joachim
LikeLike
Der Alkahest ist eine Art Revision des Erblickten(/Gesehenen/Wahrgenommenen.
Dein Sandbild hat schon eine ordentliche Form, so was kann kein Zufall sein. Aber der Sand muss schon solche Formen gestaltet haben, als es noch keine Pferde gab!?
Wie erklärt sich das? 😉
LikeLike
Und auch auf dem Mars kommen im Prinzip derartige, einmalige Strukturen vor, wie Fotos der Marsmission zeigen. Das führt zu der alten Frage: Sind die Strukturen auch da, wenn keine hinguckt? Über Pareidolien könnte man lange philosophieren, insbesondere über ihre Einmaligkeit…
LikeGefällt 1 Person
Wir hatten das ja mal schon.
Um ein Pferd erkennen zu können, muß man eines kennen.
Wenn kein Wesen mit Sehleistung existiert, gibt es keine Strukturen. Sehen heißt ja interpretieren.
Zu kurz gedacht?!
LikeLike
Sehe ich auch so. Sehen heißt auch vergleichen mit einem schier unerschöpflichen Vorrat an Mustern, wobei man mit einer Art fuzzy logic auch mehr oder weniger große Abweichungen zu tolerieren vermag.
LikeGefällt 1 Person
Dehaene hat in seinem Buch „Lesen“ auch gezeigt, wie das Erkennen von Mustern zur Entwicklung von Sprache und Lesen anhand der entspr. Muster-Areale geführt hat, quasi als Sekundärnutzung..
LikeLike
Da in jedem Fall (unabhängig von der Bedeutung) Lichtmuster zu interpretieren sind ist diese „Sekundärnutzung“ gleichsam zwangsläufig.
LikeGefällt 1 Person