Ich kann mich selbst nicht benennen. Die Alchimisten arbeiteten mit Zauberspiegeln und ließen sich von der Reflektion leiten. Das Spiegelkabinett um mich herum wurde verwinkelt angelegt, um das Bild zu verzerren. Bin das da ich, in der Schaufensterscheibe ! Bin das ich auf dem Familienfoto! Bin das ich im Bürofenster! Bin das ich auf den Hochglanzseiten einer Illustrierten? Bin das ich in den zerbrochenen Flaschen auf der Straße! Überall Spiegelbilder, wohin ich auch gehe. Überall Bilder von mir. Und wer bin ich!
Mein Mißtrauen wurde geweckt, als ich noch klein war. Ich konnte mich in den Spiegeln, die mir vorgehalten wurden, nicht finden, konnte mich nicht· durch die Pole der Gewißheit definieren, die so verläßlich schienen, sich aber ständig verschoben. Was war die wahre Natur der Welt! Was war meine wahre Natur in ihr!*
Während in früheren Zeiten spiegelnde Objekte und erst recht perfekte Spiegel nicht allzu häufig im Alltag anzutreffen waren, tauchte das eigene Spiegelbild oft in symbolischen und mystischen Betrachtungen auf. In der heutigen Glitzerwelt, in der reflektierende Oberflächen die eigene Person in den unterschiedlichsten Situationen, aufrecht, kopfstehend und verzerrt vor Augen führen, sind die Menschen weitgehend abgestumpft gegen Spiegelungen und sehen sie kaum noch als solche. Jeanette Winterson sieht darin durchaus irritierende Momente. In der Tat muss man sich fragen, ob einem nicht eindrucksvolle An-, Durch-, Auf– und Einsichten entgehen.
* Jeanette Winterson. Das Schwesteruniversum. Reinbek 1999, S. 26
Vor 30 Jahren lernte ich erstmals Anamorphosen kennen.
Es gab da eine Reihe kunsthistorischer Sendungen, vielleicht waren es „100 Meisterwerke“, die mir diese besondere Welt der Kunst erstmals vor Augen führte.
Zwar sah ich 1971 die Dürerausstellung in Nürnberg, doch ging davon kaum ein weiterer „Glanz“ aus – Kunst blieb im Grunde ein langweiliges Metier, ohne Saft und Kraft. Mir fehlte einfach die Bildung.
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Ich erinnere mich auch an die Zeit und habe aus den 70er Jahren noch ein sehr gutes Buch über Anamorphosen. Wa ich vermisse ist eine kunsthistorische Aufarbeitung zu Alltagsanamorphosen, die uns tagtäglich umgeben und die wir verlernt haben (vielleicht nie gelernt haben) als solche oder überhaupt wahrzunehmen.
Auch für Laien gut gemachte Kunstausstellungen sind selten. Ich könnte – obwohl ich viele besucht habe – die guten an meinen Fingern abzählen.
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Früher habe ich die Texte aus Kunstkatalogen meist gelesen, doch dann waren sie mir bald oft zu verquast. Reine „Literatur“ und oft nicht nachzuempfinden.Luftige Schaumwolken. Schwerer Dung.
Werke, die aus sich heraus sprechen und dennoch nicht banal sind, die Tiefe haben, sind vielleicht z.b.Edward Hoppers Werke.
Oder Werke von Monet,Munch, Max Ernst.
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In der Tat ist die Beschreibung von Kunst oder auch Musik mit Worten schwierig. Das können nur sehr wenige so, dass es auch uns Laien etwa gibt. Da ist didaktisches Geschick gefordert, das nicht jeder Wissenschaftler besitzt. Selbst in Kunstkatalogen habe ich aber manchmal eindrucksvolle und nachvollziehbare Beiträge gefunden. Zum Beispiel zur Ausstellung „Mirror Image“ in der National Gallery London im Jahre 1998, das ich wegen des obigen Beitrags stellvertretend für einige weitere nenne.
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