Die Löwenzahnwiese blieb die ganze Blühsaison über unberührt und durfte in Ehren fast einheitlich ergrauen. Das Gelb der Jugend wich dem weisen Weiß des Alters. Die zu „Haaren“ umgebildeten Kelchblätter von Korbblütlern (Asteraceae) heißen Pappus im in Anlehnung an das griechische Wort für Großvater „pappos“ (πάππος). Da sage noch einer die Wissenschaftler hätten keinen Sinn für anschauliche Begriffe.
Nach den trockenen Tagen verlieren die Großvaterköpfe ihre Haarpracht und die Haare schweben als kleine Minifallschirme durch den Wind entfacht vor meinem Fenster dahin. Die erste Assoziation: es schneit. Nein, es sind die Papusse, die von einer Zufallskette gelenkt zu einer möglichen neuen Heimat reisen. Zurück bleiben zahlreich kleine Glatzköpfe.
Der Zufall wird auch darüber entscheiden, wo sie schließlich landen und ob sie eine Chance haben, zu einer neuen Pflanze heranzuwachsen. Die Natur bedient sich eines einfachen Prinzips: Keine komplizierten Weginformationen, sondern ohne Rücksicht auf Verluste flächendeckende Ausbreitung. Dabei wird durch eine raffinierte Leichtbauweise und weitere physikalische Tricks erreicht, dass die Sinkgeschwindigkeiten minimal und damit Flugzeiten maximal werden, um auch bei ganz leichten Luftbewegungen voranzukommen.
Der physikalisch optimierte Bau der Gleitflieger geht mit einer eindrucksvollen Ästhetik einher. Ich empfehle Jedem bevor sie oder er mit einem leichten Blasen in die weiße Haarpracht die Gleitschirme auf Reisen schickt, die noch unversehrten Köpfchen gegen das Licht zu halten und den durchschimmernden Innenbau in Augenschein zu nehmen.
Josef Weinheber
Löwenzahn
Keine Vase will dich. Keine
Liebe wird durch dich erhellt.
Aber deines Samens reine
weiße Kugel träumt wie eine
Wolke, wie der Keim der Welt.
Lächle! Fühl dich gut gedeutet!
Blüh! So wird aus Schweigen Huld.
Bittre Milch und Flaum, der gleitet:
O, nicht Haß – den Himmel weitet
Weisheit. Stillesein. Geduld.
Wärst du auf der Höh geboren,
ferne, selten, früh empor:
teilnahmslosem Gang der Horen
blühtest ruhmvoll, unverloren,
groß, dein Wunder vor.
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Vielen Dank für den lyrischen Kommentar. In ihm kommt die zwiespältige Rolle des Löwenzahns sehr schön zum Ausdruck. Wusstest du, dass Weinheber seinem Namen alle Ehre machte und alkoholkrank war? Außerdem war er ein glühender Nazi, was Reich-Ranicki nicht hinderte, ihn in seinem Lyrikkanon aufzunehmen.
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Nein, das wusste ich nicht. Erst wollte ich noch recherchieren, war dann aber zu müde.
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Das kann ich verstehen. Müdigkeit hat andererseits den Vorteil, dass man einige Exkurse vermeidet und sich auf das Wesentliche beschränkt.
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An den verlinkten Beitrag erinnere ich mich gerne.
Solche Beiträge verdienen wiederholtes Lesen, was ich wohl auch heute nochmals tun tun werde.
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Das freut mich natürlich, weil auf diese Weise eine Vernetzung der Beiträge entsteht.
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Für die Vernetzung sorgst ja primär du. Aber es stimmt, daß, wenn man Beiträge über bestimmte Themen immer wieder liest so wie ich über etwa neurowissenschaftliches oder biologisches, dann bildet sich eine Art Substrat. Ein Bodensatz.
Man muß sich allerdings zumindest etwas genauer mit den Dingen beschäftigen.
35000 Stunden Schachspielen etwa bildet weniger als 350 Stunden Schachstudium.
Entschuldigung, daß ich Schach wieder mal anführte.
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Da stimme ich mit dir überein. Und auch das Beispiel des dir vertrauten Schachs überzeugt. Der Faktor 100 zwischen Spielen uns Studieren wird aber dadurch relativiert, dass man beim Spielen mehr Spaß hat. Würde mir jedenfalls so gehen.
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Dieses Foto ist unglaublich, Joachim, Chapeau!
Liebe Grüße
Ulli
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Danke, liebe Ulli! Aus so berufenem Mund freut mich diese Einschätzung natürlich ganz besonders.
Auch dir liebe Grüße,
Joachim
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Klasse Pusteblumenfoto! 👏
Herzliche Morgengrüße vom Lu
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Danke, lieber Lu, das Foto war meine Reverenz an die Pusteblume, bevor ich ihrem Namen Rechnung trug und die Gleitschirmchen in alle Richtungen pustete.
Auch dir liebe Grüße,
Joachim
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Lächel … das muss Freude gemacht haben 😊
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Ja, hat es! 🙂
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⭐
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🙂
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Ich finde, auf dem Foto, sehen die Enden wie feiner Flaumfedern aus. Ganz zart und so zerbrechlich.
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Das stimmt. Dies Zartheit verleiht ihnen ja auch die Fähigkeit, sich vom leisesten Luftzug wegtragen zu lassen.
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Was für ein brillantes Foto…. da bekomme ich gleich Lust, mit der Schere das Thema Löwenzahn nochmals anzugehen. Vor ca. vierzig Jahren schrieb ich ein Märchen über das „Tausendgoldblöttchen“ , wie ich den Löwenzahn nannte. Ich werde es nochmals lesen. Ich liebe den Löwenzahn. Ich hab ihn buchstäblich zum Fressen gern. Es ist eine unglaublich wertvolle Heilpflanze. Alle Pflanzenteile sind essbar. Danke
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Vielen Dank! Der Löwenzahn gehört seit Kindheitstagen auch zu meinen Favoriten und ich freue mich über jede:n, der meine Liebe teilt. Dennoch habe ich mein Leben lang erfahren müssen, dass er wohl von der überwiegenden Zahl unserer Zeitgenossen als hartnäckiges Unkraut angesehen wird. Dein Märchen solltest du mal in deinem Blog publizieren.
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