Schaut man sich eine frisch entfaltete (sic!) Mohnblüte an, so zeigt diese oft noch Spuren der Falten, die an die Art der Verpackung der Blütenblätter im Innern ihrer Kapsel erinnern. Auch wenn die Falten zunächst kein regelmäßiges Muster erkennen lassen, waren die „pränatalen“ Blütenblätter nicht einfach in die Kapsel hineingeknüllt worden, sondern nach allen Regeln der platzsparenden Faltungstechnik untergebracht. Das zeigen die immer wiederkehrenden Muster, die die aufbrechenden Knospen offenbaren in denen ansatzweise die Blätter oder Blüten in kompakter Form zusammengefaltet vorhanden sind und ihrer Entfaltung entgegensehen. Die kunstvolle Faltung ist die natürliche Lösung des Problems, die späteren Blätter und Blüten auf kleinstem Raum in kompakter Form unterzubringen.
Die dafür nötige Faltung muss nicht nur möglichst platzsparend sein, sie soll beim späteren Aufbrechen der Knospen auch auf einfache und problemlose Weise entfaltet werden können, ohne dass sich dabei die verschiedenen Falten in die Quer kommen und gegenseitig behindern. Außerdem sollte die Entfaltung möglichst ohne großen Energieaufwand ablaufen. In der Natur hat sich ein verblüffend einfaches Faltungsprinzip herausgebildet, bei dem diese Bedingungen gewissermaßen zwangsläufig erfüllt werden, sobald eine nach außen wirkende Triebkraft auf das gefaltete Gebilde ausgeübt wird.
Dem Astrophysiker Koryo Miura ist es gelungen, dieses Faltungsprinzip mit Hilfe einer speziellen Origami-Technik nachzustellen und als Vorlage für zahlreiche technische Realisierungen bereitzustellen. Diese sogenannte Miura-Faltung lässt sich auf verblüffend einfache Weise nicht nur visuell sondern auch haptisch nachvollziehen. Dabei wird ein nach einem bestimmten Schema gefaltetes Blatt Papier (beispielsweise DIN A4- Format) in ein verhältnismäßig kompaktes Gebilde überführt. Dieses kann anschließend durch eine kontinuierliche in nur eine Richtung ausgeübte Zugkraft in ein flächenhaftes Muster überführt und durch eine in entgegengesetzte Richtung wirkende Druckkraft auf ebenso einfache Weise wieder in die flächenhafte Form des Papierblatts zurückverwandelt werden. Konkret: Das in der Abbildung (unten links) gefaltete Papier wird am oberen und unteren Ende auseinander gezogen und dadurch über den Zwischenschritt (unten rechts) zu einer Fläche entfaltet. Ebenso einfach lässt sich das Papier wieder in die kompakte Form zurückschieben.
Das Faltmuster des Papiers besteht aus gleichgroßen Parallelogrammen, dessen Kanten in einer Richtung aus Geraden und in der anderen Richtung aus Zickzacklinien besteht. In den Spitzen der sich beim Entfalten aus der Ebene Erhebungen laufen jeweils drei „Berg“- und eine „Talfalte“ zusammen.
Dieses Faltungsprinzip trifft man mit entsprechender Anpassung an die jeweils nichtebene Form der Blüten sowohl bei der Mohnblüte als auch beispielsweise bei Insektenflügeln an, bevor sie vollkommen entfaltet sind.
Bereits Miura stellte fest, dass auch scheinbar zufällige Faltungen dem von ihm entdeckten Prinzip folgen. Als er Papier oder andere Stoffe willkürlich zerknüllte, zeigte sich stets die typische Abfolge von Berg- und Tal-Falten. Heute wird diese Falttechnik in verschiedenen Bereichen eingesetzt. Sonnensegel, die ins All geschickt werden, können mit der Miura-Faltung platz- und damit kostensparend transportiert werden. Aber auch Stents (Implantate zur Erweiterung von Hohlorgangen) werden meist so gefaltet in das Hohlorgan eingeführt, dass dazu nur minimalinvasive Eingriffe nötig sind.
wieder mal toll, solche Fragen zu stellen, solche Antworten zu finden
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Danke, liebe Gerda! Ehrlich gesagt haben sich bei der Recherche noch mehr Fragen aufgetan als Antworten. Die eine habe ich soeben auf den Kommentar von Gerhard genannt.
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Wie kam dieses Faltungsprinzip in die Welt?
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Das habe ich mich auch schon gefragt. Und auch: Wie „weiß“ die Pflanze, wie ein gefaltetes (Blüten-) Blatt aussieht, wenn es aus einem winzigen Keim in der sich entwickelnden Blüte heranwächst. Es muss ja in gewisser Weise das Ergebnis der späteren Entfaltung vorweggenommen werden. Der umgekehrte Weg der Faltung wäre irgendwie einfacher vorstellbar.
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„Wie weiß die Pflanze….“ – „wie weiß der Lachs…“, „wie weiß die befruchtete Eizelle“, „wie weiß mein Enzym XY..“ genau das sind Rätselfragen von uns Menschen, weill wir das Genie der Natur nicht zu fassen vermögen.
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So ist es! Und es ist auch gut so.
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Sehr interessant und verblüffend. 🙂
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Danke! Auch ich war erstaunt, dass es beim Mohn (und vielen anderen Pflanzen) so ähnlich abläuft wie wenn ich meinen Minischirm entfalte. 😉
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I’m Atelier beschäftige ich mich immer wieder mit Origamifaltungen, weil ich die zweidimensionalität der Drucke aufbrechen möchte. Dein Beitrag hat also voll mein Interesse getroffen, inclusive der angesprochenen Fragestellungen. Toll! Vielen Dank! Liebe Grüße
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Der Eindruck, dass deine Bilder oft auf eine unübliche Weise ins Dreidimensionale gehen, habe ich schon lange. Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass Origamifaltungen für dich anregend sein können – sie sind es für mich übrigens auch… Liebe Grüße, Joachim.
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