Die Ackerwinde, die – wie der Name sagt – sich vor allem windet, hat sich an einem Schilfhalm hochgewunden bzw. hochgeschraubt und eine Spirale mit ordentlichen, äquidistanten Windungen gebildet. Dabei hat sie – ebenfalls sehr regelmäßig – Blätter abgezweigt, die für die Energiegewinnung durch Fotosynthese der wachsenden Pflanze unabdingbar sind. Wegen des damit verbundenen zunehmenenden Stoffwechsels, insbesondere der Flüssigkeitsversorgung durch die Wurzeln, wird der spiralige Spross immer kräftiger und damit auch schwerer. Weil der vielleicht schon zu Beginn der Kletterpartie schräg stehende abgestorbene Schilfhalm des Vorjahres der Belastung keine aktive Gegenbewegung entgegensetze, geriet das Gebilde immer mehr in eine Schieflage.
Der vorausgehende Trieb, der ständig kreisförmige Suchbewegungen ausführt, um gegebenenfalls eine weitere Stütze zu kapern, war weitgehend erfolglos und musste hilflos feststellen, dass er sich dem Erdboden näherte. Das widerspricht aber dem Prinzip dem Licht entgegenzustreben (Phototropismus). In dieser Situation blieb der Pflanze nichts anderes übrig als in der Manier von Münchhausen, sich gewissermaßen an sich selbst hochzuziehen, damit es wieder aufwärts ging. In einem eleganten Schwung kehrte sie die Richtung um 180° um. Von nun an schraubt sie sich an der senkrecht nach unten neigenden Sprossachse senkrecht nach oben – vermutlich erstmalig in der ganzen Wachstumsgeschichte. Hoffen wir, dass der arg beanspruchte Schilfhalm durchhält, denn die Ausbildung von Blüten steht ja noch aus.
Übrigens ist das spiralförmige Klettern eine äußerst stabile Angelegenheit. Denn durch die Umschlingung des Schilfrohrs wird beim Zug am Sproß eine große Haltekraft provoziert. Sie hängt nämlich exponentiell vom Produkt aus Haftreibung (zwischen Sproß und Schilfrohr) und der Windungszahl ab.
Das erinnert an die Befestigung eines Schiffes an einem Poller am Kai. Nur wenige Umschlingungen des Taus um den Poller reichen aus, das Schiff zu fixieren. Ein anderes Beispiel ist die Selbstfixierung eines Hundes, der sich mit seiner Leine im Wald manchmal nur mit einer halben Windung am Baum fesselt und dann in der Absicht freizukommen die Leine weitere Male um den Baum wickelt. Anders als bei der Ackerwinde und ähnlichen Kletterpflanzen war die Leine im evolutionären „Programm“ beim Hund nicht vorgesehen, sodass er die Ursache seiner Selbstfesselung nicht durchschaut. Unser Hund hat dann regelmäßig den Baum als Übeltäter identifiziert und angebellt bis er durch Menschenhilfe befreit wurde.
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Hoffen wir, dass der Strohhalm hält! Die Selbstumwindung habe ich übrigens bei Winden, auch bei Efeu schon oft gesehen.
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Schön gesagt. Ich habe des Phänomen früher auch schon gesehen, doch in diesem speziellen Fall schien der Anblick mir eine Geschichte zu erzählen, eine von den kleinen Dramen im Pflanzenreich…
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Du könntest ja das Stöckchen stützen, damit das Werk nicht umsonst ist.😀
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Mist! Habe ich nicht dran gedacht. 😉
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