
Beim morgendlichen Wandern durch die Sanddünenlandschaft kämpfe ich mit dem Gemisch aus schwarzen und hellen Sandkörnern, die einzeln völlig harmlos sind, als größeres Kollektiv aber zumindest äußerst beschwerlich werden können. Beim Aufstieg an der steilen Leeseite einer Düne werden die Sandkörner durch kleinste Einwirkungen zu kollektiven Abwärtsbewegungen animiert, die mich – der ich mich auf ihnen abstütze – gleich wieder ein ganzes Stück weit mit nach unten nehmen (siehe Foto).
Das ist beim Aufstieg ärgerlich, weil man einen Teil der gewonnenen Höhe wieder abgibt, beim Abstieg allerdings beflügelnd. Wenn es dann auch noch heiß ist und der Wind sein gestalterisches Spiel mit den Sandkörnern treibt, wünschte ich mir schon mal festeren Boden unter den Füßen. Allerdings werde ich reichlich entschädigt durch das unmittelbare Erlebnis, Zeuge und Teil der kollektiven Gestaltung- und Umgestaltungsvorgänge zu sein, in denen der durch den Wind in Bewegung gesetzte Sand in Wechselwirkung mit und teilweise auf Kosten der schon bestehenden Strukturen neue erschaffen werden. Dabei spielen Mischungs- und Entmischungsvorgäng eine besondere Rolle.
Ich selbst werde wie ein beliebiger anderer Gegenstand in die Prozesse mit einbezogen: Bleibe ich beispielsweise eine Zeit lang stehen, kann ich beobachten wie sich zunächst zaghaft, dann aber deutlicher werdend zu meinen Füßen ein dieser Situation entsprechendes konkretes Rippelfeld bildet. Dabei docken die Sandteilchen nicht direkt an meine Füße an, sondern bauen die Rippel in einem diskreten Abstand auf. Beim Weitergehen verschwindet die Struktur nicht sofort wieder, sondern stellt eine neue Gegebenheit dar, die den weiteren Verlauf der Strukturbildung mitbestimmt.
Sandkörnchen, die diskret Abstand halten…genau beobachtet mit naturwissenschaftlicher Präzision…Ich hätte das ganz anders ausgedrückt, mehr so lyrisch dramatisch 🙂
Ich versuche das physische Geschehen mit der Erlebnisdimension zu verbinden. „Diskret Abstand halten…“ ist einerseits eine genaue Beobachtung, andererseits spielt mit dem Wörtchen „diskret“ das Anthropomorphe in die Beschreibung mit ein. Einige eher poetische Bezüge habe ich in früheren Beiträgen auch schon gebracht:
Zum Beispiel: https://hjschlichting.wordpress.com/2017/03/07/9219/
oder: https://hjschlichting.wordpress.com/2018/02/11/ich-sei-eine-sandwueste/
oder: https://hjschlichting.wordpress.com/2017/09/18/sandstrukturen-zwischen-physik-und-poesie/
oder:https://hjschlichting.wordpress.com/2014/06/28/sand-im-getriebe-der-welt/
oder: https://hjschlichting.wordpress.com/2020/07/06/ein-traktoren-tanzplatz/
oder:
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wieder wunderbar in Bild und Gedanken. Wie anschaulich wird, dass sich die Strukturen unablässig nach geltenden Gesetzen neu bilden, und wir, als Körper, da eingebaut werden1 Wir sind es ja immer, wenn auch meist von uns unbemerkt. Wird nicht auch der Wind durch meine gehende Gestalt modelliert? Wird nicht die Raumtemperatur durch mich verändert? Das Wachstum der Pflanzen durch das von mir ausgestoßene CO2? Jeden Morgen beim Schwimmen studiere ich den Einfluss meiner Bewegungen auf die Lichtwellen am Meeresgrund. Ein zauberhaftes Spiel.
Wieder einmal sehr schön gesagt! Letztlich gibt es überhaupt keine Beobachtung, die nicht in irgendeiner Weise vom Beobachter beeinflusst wird, mal stärker, mal kaum merklich. Und wenn du im Meer schwimmst, bestimmst du die Lichtkaustiken auf dem Meeresgrund durch die Beeinflussung der Wasserwellen mit, was wiederum deine Bahnen verändern kann usw. Wir sind also immer irgendwie mittendrin.
Aufjedenfall sehr spannend beschrieben!👌👍
Liebe Grüße Babsi
Dank dir für deine Einschätzung!
Liebe Grüße Joachim
Dein Foto davon sieht außerdem wie ein Kunstwerk aus! Die Natur ist einfach daß größte Kunstwerk überhaupt!👌👌👌👌👍
Du sagst es. Die Sandwand kommt mir beim Klettern nicht nur entgegen, sie tut es in Form eines Kustwerks… 🙂
Denke mit etwas Schmnerz an das Universum Bremen im Februar zurück, wo man solche Bildungsvoränge des Sands „studieren konnte“.
Wieso mit Schmerz?
Seitdem bin ich etwas gehemmt, Museen aufzusuchen. Bremen war damals im Feber fulminant.
Dann solltest du unbedingt auch mal das Phaeno in Wolfsburg oder das Technorama in Winterthur aufsuchen…
Wenn wir das, was du hier beobachtest und mit uns teilst auch auf das menschliche Miteinander übertragen, dann ist da zum einen Verantwortung im Handeln, Denken und Sein, gleichzeitig wird aber auch die Chance sichtbar, wie jede und jeder seins und ihrs für eine Umgestaltung von Strukturen beitragen kann.
Hab ganz herzlichen Dank für diesen Beitrag, lieber Joachim, den ich durch Gerdas heutigen Beitrag aufmerksam geworden bin. Mehr noch habe ich gerade bei Gerda geschrieben.
Herzliche Grüße
Ulli
Vielen Dank, liebe Ulli, ich habe deinen Kommentar bei Gerda zustimmend zur Kenntnis genommen. Die Übertragung der Beobachtungen in der Sandwüste auf den menschlichen Bereich, darf allerdings nur als eine sehr grobe Modellierung angesehen werden. Es kann uns allerdings darauf aufmerksam machen, dass das was im Sand ein als Verhalten der toten Materie im bewussten Handeln der Menschen seine Entsprechung hat. Es zeigt uns aber auch, dass – ob wir es nun wollen oder nicht – an Strukturänderungen beteiligt sind. Und wenn wir das nicht wie in der Sandwüste dem Wechselspiel von Zufall und Notwendigkeit überlassen wollen, müssen wir ganz bewusst entscheiden, wohin wir den nächsten Schritt machen, um an einer verantwortungsvollen Strukturbildung zum Wohle aller beteiligt zu sein.
Liebe Grüße,
Joachim
Da bin ich ganz bei dir, lieber Joachin!
Herzliche Grüße
Ulli
🙂