Daß die wichtigsten Dinge durch Röhren getan werden, Beweise erstlich die Zeugungsglieder, die Schreibfeder und unser Schießgewehr, ja was ist der Mensch anders als ein verworrenes Bündel Röhren*. Die Liste in dieser von Georg Christoph Lichtenberg (1742 – 1799) gemachten Aussage könnte fast beliebig ergänzt werden. Man denke nur an das Fernrohr, an U-Bahnen, Tunnel und die allenthalben präsente Verkabelung der Welt mit Strom- und neuerdings vor allem Datenleitungen im Großen und im Kleinen – auch wenn es sich bei letzteren um Röhren handelt, in denen keine Materie im herkömmlichen Sinne fließt, sondern vor allem Energie.
Wem wäre außerdem nicht das Bild von verkabelten Menschen vor Augen, die sich im Alltag unserer Tage ihre Lieblingsmusik ins Ohr fließen ließen. Daran habe ich gedacht als ich vor einigen Jahren ein ganz anderes Bild betrachtete, nämlich das Relief der Verkündigung Mariä (oberes Foto) am Nordportal der Marienkapelle in Würzburg (unteres Foto). Dort sieht man, wie der im Himmel thronende Gott mit der Weltkugel in der Hand über ein Schlauchtelefon mit der knienden Maria verbunden ist um ihr zu verkünden, dass ihr ein Kind gesendet würde. Dieses rutscht dann auch prompt in Form eines schon gut entwickelten Fötus nicht durch die Röhre, sondern – vermutlich wegen der Sichtbarkeit des Vorgangs – auf der Röhre auf Maria zu (siehe Ausschnittsvergrößerung im mittleren Foto). Hier erweist sich ganz im Sinne Lichtenbergs ein Schlauch als Zeugungselement.
Was mich erstaunt ist nicht so sehr diese ungewöhnliche Verbindung des Profanen mit dem Göttlichen, sondern die Tatsache, dass bereits zur Zeit der Erschaffung des Reliefs im 15. Jahrhundert Schlauchtelefone bekannt gewesen sein müssen. Denn so skurril die Szene wirken mag, die Übertragung von Sprachnachrichten durch Rohre oder Schläuche ist physikalisch nicht nur möglich, sondern kann auch sehr effektiv sein. Nach einer kurzen Recherche wurde ich in einem Techniklexikon** fündig, wonach Sprechrohrleitungen bereits in Pompei nachweisbar sind. Dort dienten sie zwischen dem Raum des Pförtners und dem Innern eines Hauses der Nachrichtenübermittlung.
Die Schlauchtelefone sind auch heute noch gelegentlich anzutreffen. Auf manchen Schiffen sieht man an Deck trichterartige Vorrichtungen, in die man über ein Rohrsystem z.B. mit dem Maschinenraum in Kontakt treten kann.
Als Schüler lernte ich auf einem Schulausflug in einer alten Jugendherberge diese Vorrichtung kennen. Uns Schülern wurde die Funktion dieser Trichter im großen Schlafsaal allerdings erst klar, als der Lehrer genau wusste, wer am Abend in den Zimmern die Bettruhe gestört hatte. Und als Kinder haben wir mit Wasserschläuchen in deren Enden einfache Trichter gesteckt wurden über Entfernungen von ca. 30 bis 50 Metern kommuniziert ohne dass der „Feind“ mithören konnte. Bei längeren Entfernungen wirkten die Stimmen immer „geschlauchter“.
Vor dem Durchbruch des (elektrischen) Telefons war diese Art der begrenzten Fernkommunikation durchaus verbreitet. Ich kann mich erinnern, dass auf meinen ersten Flugreisen Kopfhörer benutzt wurden, die i.W. aus Schläuchen bestanden. Diese Technik gibt es auch heute noch u.a. in manchen Headsets. Der Vorteil besteht offenbar darin, dass die Membrane, durch die der in elektrischen Schwingungen kodierte Schall als akustische Schwingung auf die Luft übertragen wird, viel größer als das bei einem Ohrstöpsel sein kann. Insbesondere die tiefen Töne benötigen große Übertragungsflächen.
Normalerweise breitet sich Schall in Luft von der Quelle radial in alle Richtungen aus. Die Wellenfront verteilt sich damit auf einer mit der Entfernung wachsenden Kugelfläche, sodass die Schallintensität quadratisch mit der Entfernung abnimmt. Die Reichweite des hörbaren Schalls ist daher stark begrenzt.
Leitet man den Schall durch die Luft im Innern eines Schlauchs, so bleibt die Wellenfront auf die innere Querschnittsfläche des Schlauchs begrenzt. Dadurch lässt sich die Reichweite enorm steigern. Da sich der Schall durch longitudinale Schwingungen ausbreitet, schwingt die Luft im Schlauch parallel zu den Wänden. Intensitätsverluste treten lediglich dadurch auf, dass die hin und her bewegte Luft mit der Wand des Schlauchs „reibt“ und ein Teil des Schalls auf den Schlauch selbst übertragen wird.
* Georg Christoph Lichtenberg. Sudelbücher
** Franz M. Feldmann. Die Technik. Ein Lexikon der Vorzeit, der Geschichtlichen Zeit und der Naturvölker. München 1970, S. 1069
Du weckst die Erinnerung an ein Dosentelefon in mir, über das ich mit dem Nachbarsjungen in meiner Kindheit telefonierte: wir hatten aber die Dosen nicht mit einem Schlauch verbunden, sondern mit einer stark gezwirnten, reißfesten Schnur, die von Haus zu Haus sehr straff gespannt werden musste. Damit war tatsächlich eine Klangverstärkung zu bewirken, wir sprachen und lauschten abwechselnd in die Dose. Ganz nebenbei fällt mir gerade eine positive Nebenwirkung dieser Technik ein: es ist so unmöglich, einander zu unterbrechen, ins Wort zu fallen ☺.
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Genau so auch bei mir, Ule! Lang vergessen diese Kinderzeit!
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Der Nachbarsjunge hieß übrigens Gerhard, fällt mir dabei wieder ein ☺.
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Gerhards gab es viel in den 50ern. 🙂
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Schön, dass du das Dosentelefon auch noch kennengelernt hast. Es ist eine weitere einfache Version Schall gezielt zu leiten. In der heutigen Zeit, wo die Kinder mit Handys aufwachsen, ist es schwierig dieselbe Begeisterung für diese einfache Technik zu wecken. Verglichen mit dem Schlauchtelefon hat es den Nachteil, dass man es immer straff halten muss und ziemlich nahe bei seinem Gegenüber sein muss. Damit reduziert sich die Sprachübermittlung auf eine bloße Verstärkung bewusst leise gesprochener Worte. Ein effektive Methode einander zu unterbrechen ist in der Tat nur durch Kappen des Fadens möglich. 😉
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😊 Tja, bei manchen Leuten muss man leider drastisch werden.
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So ist es. 🙂
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Manchmal möchte man so unterbrechen können, denn nicht alles muß man sich heutzutage anhören müssen.
Aber zurück zum Faden und der Dose: In meiner Erinnerung war die Distanz groß…da sieht man mal wieder, wie „die Erinnerung einen Lügen strafen lässt“. Mit zunehmnder zeitlicher Entfernung vom Geschehen verändert sich das Erlebte – es bleibt so oft kein Stein auf dem anderen 🙂
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Früher war mehr Lametta… Da waren die Entfernungen viiieel größer.
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Das kann sein, da muß ich nochmal nachgucken 😦
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🙂
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Faszinierend, ist mir noch nie aufgefallen
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Kann ich verstehen, weil man sich die Darstellungen solcher Kunstwerke oft gar nicht so genau anschaut, geschweige denn die Szenerie so richtig versteht.
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Da Ule jetzt das Telefon der Kindheit (wir waren als Kinder nach der Schule nur auf der Flur oder im Wald!), fällt mir jetzt das Alphorn ein. Und natürlich auch, wie sollte es sein, das Universum in Bremen, in dem ja über zwei große Ohren miteinander gesprochen werden konnte, trotz Lärm im Raum.
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Ja, in manchen Science Centern ist das Spiel mit der Schallleitung wieder präsent. Jüngere Menschen erfahren so dieses Alte als etwas Neues. Beeindruckend finde ich, dass das Schlauchtelefon eigentlich schon antik ist und es angelblich sogar von Gott benutzt wurde.
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Gott braucht kein Schlauchtelefon, sonst wäre er nicht Gott!
Übrigens will meine Schwägerin Mitte Oktober auf meine Anregung hin auch nach Bremen reisen, aber im Moment weiß man nicht, wie da die Situation sein wird.
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Offenbar ist die Kirche in Würzburg anderer Meinung.
Ich war gestern mit der Bahn in Köln. Das ging mit Maske etc. ganz gut. Auch im Museum (Walraff) war alles bestens. Es waren nur wenige Leute da und selbst im Museumsrestaurant waren nur vier Personen. Vielleicht kann man das ja auf Bremen (teilweise) übertragen.
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Naja, wie es in 3, 4 Wochen aussieht, weiß man nicht.
Gestern waren wir ZEITGLEICH in den Würth-Museen in Künzelsau, einfach wunderbar. Alles sehr großzügig.
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