H. Joachim Schlichting. Spektrum der Wissenschaft 10 (2010), S. 79 – 80
Wer widersteht dem Strome
seiner Umgebungen?
Johann Wolfgang von Goethe (1749 – 1832)
Kleine Dünen bewegen sich schneller als große. Dennoch holen die kleinen die großen nicht ein, weil sie durch einen kürzlich entdeckten Strömungsmechanismus auf Abstand gehalten werden.
Dünenfelder in einer Sandwüste ebenso wie unter Wasser sind fast ständig dem Wind bzw. der Wasserströmung ausgesetzt. Dadurch werden die einzelnen Dünen nicht nur umgeformt, sondern auch in Bewegung gesetzt. Weil ständig Sandkörner von der dem Wind oder dem strömenden Wasser zugewandten Luv- Seite zur abgewandten Lee-Seite transportiert werden, pflanzt sich eine Düne fort. Man hat schon sehr früh herausgefunden, dass kleine Dünen schneller sind als große, was aufgrund der unterschiedlichen Sandmengen, die dabei transportiert werden müssen, auch unmittelbar einleuchtet. Eine Konsequenz aus dieser Tatsache wäre, dass die schnelleren die langsameren Dünen einholen und es zu Kollisionen und einem Aussterben der kleinen Dünen kommen müsste. Das ist aber nur sehr selten zu beobachten.
In einer kürzlich publizierten, experimentellen Arbeit über die Wanderbewegung von Dünen entdeckten Wissenschaftler von der Universität Cambridge (Großbritannien) einen bislang unbekannten Mechanismus, durch den benachbarte Dünen auf Abstand gehalten werden. Jedenfalls konnten sie die Folgerung aus Modellexperimenten ziehen, in denen sie kleine Sanddünen einer Wasserströmung aussetzten und die Wechselwirkung der Dünen miteinander aufzeichneten. Es spricht vieles dafür, dass sich diese Ergebnisse auch auf die windgetriebenen Sanddünen auf dem Land übertragen lassen.
Um die Experimente so einfach wie möglich zu halten, bauten sie eine Vorrichtung, in der kleine Sanddünen einer ringförmigen Rinne der Strömung von Wasser ausgesetzt wurden. Dazu wurde der Ring in Rotation versetzt und zusätzlich das Wasser im oberen Bereich durch rotierende Schaufeln zum Strömen gebracht. Dieser doppelte Antrieb ermöglicht eine Feinjustierung der Strömung und den weitgehenden Ausschluss unerwünschter Nebenwirkungen. Die experimentelle Umsetzung der natürlicherweise als weiträumige Translationsbewegung auftretenden Wanderung der Dünen in einen Rotationsvorgang hat den großen Vorteil, dass die Modellexperimente auf begrenztem Raum bei im Prinzip beliebig langen Beobachtungszeiten durchgeführt werden können.
Wenn man das Wasser über eine einzelne Düne strömen lässt, wandert diese einfach mit konstanter Geschwindigkeit in Strömungsrichtung. Aber sobald zusätzlich eine zweite Düne in einem gewissen Abstand stromaufwärts platziert wird, bewegen sich die Dünen mit unterschiedlicher Geschwindigkeit fort. Die stromabwärts befindliche (rote) Düne ist schneller als die andere mit der Folge, dass sich die Dünen immer mehr voneinander entfernen. Da sich die gleich großen Dünen nur durch ihre relative Lage unterscheiden, kann nur eine Wechselwirkung zwischen ihnen die Ursache für den Geschwindigkeitsunterschied in der Fortbewegung sein.
Untersucht man das unterschiedliche Wanderverhalten der beiden Dünen über einen längeren Zeitraum, so stellt man fest, dass sich die weiter stromaufwärts befindliche (blaue) Düne mit konstanter Geschwindigkeit fortbewegt, während die gewissermaßen in ihrem „Windschatten“ befindliche zweite Düne immer langsamer wird. Diese Verlangsamung setzt sich solange fort, bis die beiden Dünen in der Ringrinne einander diametral gegenüber liegen. Dies ist allein schon aus Symmetriegründen zu erwarten, weil die beiden Dünen in dieser Position denselben Einflüssen ausgesetzt und daher völlig gleichwertig sind. Die schnellere Düne hat dann die Geschwindigkeit der langsameren erreicht und beide bewegen sich fortan mit dieser Geschwindigkeit fort.
Die Ursache für diese erstaunliche Entwicklung haben die Forscher dadurch herausgefunden, dass sie sie anhand von Aufnahmen einer mitrotierenden Kamera die Bewegung der einzelnen Glaskügelchen verfolgten. Demnach entstehen an der stromaufwärts gelegenen Düne Wirbel, die bis zur stromabwärts gelegenen Düne reichen und an deren Spitze zahlreiche Sandkörnchen auslösen. Diese gelangen dann in den Wasserstrom, werden ein Stück weit mitgerissen und sinken an der Leeseite der Düne wieder ab. Auf diese Weise unterstützen die Wirbel den Vorgang des Sandtransports auf der Düne und steigern die Fortbewegungsgeschwindigkeit der Düne. Da die Reichweite der Wirbel jedoch begrenzt ist, nimmt die beschleunigende Wirkung mit zunehmender Entfernung der beiden Dünen voneinander ab und regeln schließlich einen charakteristischen Abstand zwischen den Dünen ein. Im Modellexperiment reichten die Wirbel aus, die Dünen bis in die symmetrisch Position zu treiben, bei kleineren Dünen wird diese Entfernung gegebenenfalls nicht erreicht.
Aus dem entdeckten Turbulenzmechanismus kann gefolgert werden, dass einzelne Dünen in einem Dünenfeld nicht miteinander kollidieren, sondern im Gegenteil zu einer gegenseitigen Stabilisierung führen. Geht man beispielsweise von der Situation aus, dass sich eine kleine Düne hinter einer großen befindet, so würde die kleine, schnelle Düne die große, langsame über kurz oder lang einholen. Infolge der Annäherung der Dünen nimmt jedoch der Einfluss der von der kleinen ausgehenden Wirbel auf die große Düne zu. Der Sandtransport auf ihr wird unterstützt und damit die Wandergeschwindigkeit vergrößert und zwar umso stärker, je näher sich die Dünen kommen. Vorausgesetzt der Größenunterschied der beiden Dünen hält sich in Grenzen, so würden beide Dünen schließlich mit gleich großer konstanter Geschwindigkeit wandern. Es tritt also der erstaunliche Fall ein, dass sich unterschiedlich große benachbarte Dünen mit derselben Geschwindigkeit fortbewegen. Durch einen einfachen aber wirkungsvollen Mechanismus der Selbstorganisation halten die wandernden Dünen einen gebührenden Abstand zueinander ein.
Literatur
K. A. Bacik et al., Wake induced long range repulsion of aqueous dunes, Physical Review Letters, vol. 124, 054501, 4 February 2020
Dies ist die Einreichversion des Originalbeitrags
Ein beeindruckendes Beispiel von Selbstorganisation. 🙂
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Ja, die Sandkörner, die ja in ihrer Schlichtheit auch in Bezug auf die Wechselwirkungen miteinander kaum zu überbieten sind, führen zu beeindruckenden Strukturbildungen.
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Deshalb nahm man ja Kügelchen, um das Phänomen möglichst rein zu untersuchen, oder?!
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Die Glaskügelchen sind sozusagen die Laborversion des Sandes. So kann jeder mit dem gleichen „Sand“ die Ergebnisse überprüfen. Außerdem kann man ausschließen, dass das Ergebnis möglicherweise durch die reale Form der Sandkörnchen beeinflusst werden könnte.
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