Alles, was sich verästelt,
verzweigt: Delta Blitz Lunge,
Wurzeln, Synapsen, Fraktale,
Stamm- und Entscheidungsbäume;
alles, was sich vermehrt
und zugleich vermindert –
nicht zu fassen,
schon zu reichhaltig
für dieses Spatzenhirn,
dieses x-beliebige Glied
einer infiniten Serie,
die sich hinter dem Rücken
dessen, der da, statt zu denken,
gedacht wird, entwickelt,
verästelt, verzweigt.*
Infinit ist die Serie der Bifurkationen bei diesem Zweigabschnitt eines Birnbaums, der auf ein Seerosenblatt eines Teiches fiel, schon lange nicht mehr. Wenn die Patina – hier in Form von Flechten – den Entscheidungsbaum erst im Griff hat, enden die Verzweigungen und lassen nur noch erahnen, wie es hätte weitergehen können.
* Hans Magnus Enzenberger. Die Elexiere der Wissenschaft – Seitenblicke in Poesie und Prosa. Frankfurt am Main 2002; S.: 125
Die Gabelung hört irgendwann auf.
Einer meiner ersten biologischen Fragen ( vor etwa 10 Jahren) war, bis zu welcher Stufe es funktionale Strukturen in organischem Material gibt.
Heute weiss man, daß sogar komplexe Moleküle durchaus so wie Maschinen funktionieren können. Ihre Gestalt ist durchaus maßgeblich, sie hat Funktion.
Vor 10 Jahren ahnte ich das in etwa, weil ich in Jena im optischen Museum rstmals (?!) auf Mikrostrukturen aufmerksam wurde.
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Man betrachte nur das Corona-Virus. Schon hier zeigt sich die Mächtigkeit der (Selbst)Organisation auf niedriger Stufe…
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Ich fragte damals einen Biologen, aber er gab mir eine ausweichende, kurze Antwort.
Für mich war das damals aber eine wichtige Frage: Gibt es so etwas wie „biologisches Füllmaterial“ oder hat ziemlich alles Funktionen?!
Die Antwort darauf musste ich mir über Jahre selbst besorgen, leider.
Heute weiß ich z.b. von einem Max Planck-Institut, das darauf spezialisiert ist, die jeweiligen Faltungen eines Moleküls in einem Prozeß bildhaft, also in einem Video, nachzuvollziehen.
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Ich vermute, dass der Biologe mit der Frage nicht viel anzufangen wusste, denn diese Blicke über das herrschende Lehr- und Forschungsparadigma hinaus werden selten gewagt. Sie sind aber notwendig, um zu Neuem zu kommen. Hier könnte ich wieder mal mehrere schöne Zitate von Lichtenberg bringen, aber das würde jetzt zu weit führen. Ich glaube schon, dass es – wenn ich dich recht verstehe – dieses „Füllmaterial“, wie du es nennst, gibt. Es betrifft m. E. den Bereich der materiell angelegten Möglichkeiten, die belebten Strukturen innewohnt.
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Der Biologe hatte vermutlich kein Interesse, einem Laien etwas näher zu bringen.
Und wenn nicht, dann war es ihm zu mühsam.
Ähnlich war es in der Bundesliga, als ich einen Nationalspieler fragte, wieso mein Zug am Nebenbrett so verkehrt war. Er machte eine fahrige Bewegung, die sollte Erklärung genug sein. Ich verstand irgendwann von alleine.
Sicher gibt es FÜLLMATERIAL, aber eben natürlich von der Sorte, die nützt – und funktional ist.
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Es genügt offenbar nicht, Experte zu sein, man muss auch ein pädagogisches Interesse haben, seine Ideen weiterzugeben. Ohne eine solche „Rückkopplung“ an die Basis ist alle Expertise l’art pour l’art und auf lange Sicht wirkungslos.
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Ja, so ist es. Deshalb sind ja alle wissenschaftlichen Institutionen angehalten, ihre Ergebnisse allgemeinverständlich darzulegen. Das gehört zu ihrem Auftrag.
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Und, tun sie es?
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Das kann ich nicht beurteilen.
Ich frage mich manchmal nur, wieso einige, die forschen, populärwissenschaftliche Bücher schreiben.
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Manche tun es, mit mehr oder weniger gutem Erfolg. Für die Verlage ist oft der Name wichtiger als der Inhalt. Viele kaufen es wegen des Namens und geben sehr schnell auf, indem sie sich in ihrem Vorturteil bestätigt fühlen, kein „Wissenschafttyp“ zu sein.
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Das stimmt.
Vor allem, wenn der Autor keine Lösungen anbietet. Man will ja nicht mit mehr Fragen aus einem Buch rauskommen, als man hineingegangen ist.
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Das sehe ich genauso.
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Hier kann ich gar nicht sagen, welchen Text ich poetischer finde. Wahr und gedankenfördernd sind sie beide.
Du öffnest den Blick auf weitere Bifurkationen (beendete wie andauernde), die uns im Alltag begegnen.
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Vielen Dank, Ule! Erstaunlich finde ich immer wieder, dass irgendwelche Dinge, die einem zufällig in die Hände fallen, Anlass zu Gedanken geben, die oft weit über das hinausreichen, was sie materiell darstellen.
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Fein 🙂
Hier noch eine enzensbergerische Zugabe aus dem von dir zitierten Buch, das ich sehr mag:
https://finbarsgift.wordpress.com/2014/01/14/die-mathematiker-enzensberger/
LG vom Lu
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Ja, das ist ebenfalls ein sehr kreativer Beitrag. Enzensberger hat sich wohl intensiver mit der Mathematik und den Naturwissenschaften auseinandergesetzt. Schön ist auch sein (Märchen)Büchlein „Der Zahlenteufel“, in dem er sehr konkret und spielerisch zugleich mit mathmatischen Zusammenhängen umgeht. Ich wünsche dir eine schöne Woche! LG, Joachim.
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Ich dir auch!
Ich habe mich immer sehr darüber gefreut, dass Enzensberger sich für die Mathematik poetisch und sozialkompetent einsetzte …
Herzliche Grüße vom Lu
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🙂
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⭐
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Ich fand schon immer, dass „Der Zahlenteufel“ als Mathebuch für die Grundschule zugelassen werden sollte. Wenn irgendein Buch Lust auf Mathe macht, dann wohl dies.
Vermutlich hat dein Enkel das Buch schon komplett durchgerechnet? 😉
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Ich stimme mit dir überein und habe schon seit einiger Zeit daran gedacht, es meinem Enkel nahezulegen. Aber vorerst schlägt er sich noch mit den teilweise abschreckenden Vorgaben der Schule ab. Wirkliche Innovationen sind m.E. leider sowohl im Mathematik- als auch im Physikunterricht nicht in Sicht… 😦
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So wird das nix mit dem wissenschaftlichen Nachwuchs à la Deutsche Wertarbeit 😩
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Wohl wahr! 🙂
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Das ist es, was mir an deinem blog so gut gefällt: wie physikalische Gesetzmäßigkeiten Anlass zu weiterführenden Überlegungen sind
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Es freut mich, wenn das gelegentlich so ankommt. Denn das ist eine meiner Absichten mit diesem Blog.
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„Grenzen des Wachstums“ besonderer Art führst du uns hier vor, lieber Joachim. Es sind die Grenzen, denen auch wir, als lebendige Organismen, unterworfen sind, und die die Zahl und Kraft der Verzweigungen immer mehr reduzieren, bis es zum Stillstand und sogar teilweise zur Rückbildung kommt….
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Ja, liebe Gerda, so sehe ich das auch. Die realen Verzweigungsmöglichkeit nehmen ab…und bilden sich evtl. schließlich zurück 😦
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