Wenn sich Hühner fortbewegen untermalen sie jeden Schritt mit einem übertrieben erscheinenden Kopfnicken. Aber sie sind damit nicht allein. Auch andere Vögel wie zum Beispiel Tauben sind für ihre notorische Nickbewegung bekannt. Dass das Nicken mit den Schritten koordiniert zu sein scheint, wird dadurch unterstrichen, dass die Nickfrequenz mit der Laufgeschwindigkeit zunimmt. Das spricht dafür, dass es sich nicht um eine bloße Marotte handelt, sondern um eine physikalisch-physiologische Notwendigkeit.
Interessanterweise spielt dabei jedoch die Mechanik der Fortbewegung keine Rolle. Es handelt sich also nicht etwa um eine Ausgleichsbewegung zur Kompensation irgendwelcher mechanischen Impulse, um das Gleichgewicht zu halten, sondern es ist eine rein visuelle bzw. wahrnehmungstechnische Angelegenheit.
Das haben Wissenschaftler bereits in den siebziger Jahren in Untersuchungen mithilfe von Hochgeschwindigkeitsaufnahmen festgestellt*. Sie fanden heraus, dass das Kopfnicken aus zwei Phasen besteht: In der ersten Phase bleibt der Kopf gewissermaßen im Raum „stehen“, so dass sich der Kopf relativ zu seinem sich vorwärts bewegenden Körper rückwärts bewegt. In der zweiten Phase wird der Kopf schnell nach vorne in die neue Position nachgeführt.
Mit anderen Worten: Während des Schreitens bleibt der Kopf in Bezug auf die Umgebung in Ruhe und der Vogel hat Zeit, die Szenerie visuell zu analysieren, um den Kopf danach unverzüglich in die neue Position zu bringen, die der Körper inzwischen eingenommen hat. Er kann also nicht wie andere Tiere einschließlich des Menschen während der Fortbewegung eine quasi-kontinuierliche visuelle Kontrolle über das Umfeld aufrechterhalten. Er benötigt einfach mehr Zeit, in der der Kopf fixiert und das Umfeld unter Kontrolle bleibt. Der Kontrollverlust erstreckt sich nur über die kurzen Zeitraum des Kopfnickens.
Den Wissenschaftlern gelang es, Tauben dazu zu bringen, auf einem Laufband zu gehen. Als sich dieses langsam rückwärts bewegte, musste der Vogel vorwärts gehen, um an derselben Stelle im Raum zu bleiben. Bezeichnenderweise stellte er dabei das Kopfnicken ein. Es war überflüssig, ja sogar kontraproduktiv, denn der Anblick der Umgebung änderte sich ja nicht.
Die visuelle Wahrnehmung des Menschen hält zwar Schritt mit der sich beim Laufen verändernden Umgebung. Aber mehr als ein nur grober Überblick kann dabei auch nicht erwartet werden. Wenn man die Umwelt etwas genauer betrachten will, muss man seinen Schritt verlangsamen oder sogar stehenbleiben, um genügend Zeit für die Wahrnehmung zu gewinnen. Deswegen sieht man beim Wandern mehr als beim Radfahren und beim Radfahren mehr als beim Autofahren.
* Barrie J. Frost. The optokinetic basis of head-bobbing in the pigeon. Journal of Experimental Biology. 74 (1978) 187-195.
Bei den Fliegen muß es ähnlich sein. Sie nähern sich im Flug einem Objekt, halten für einen sehr kurzen Moment inne, „um etwas sehen zu können“ und setzen ihren Flug oft in anderer Richtung fort. Deshalb wohl diese zuckenden Flugmanöver, dieses Hin und Her. Sicher nicht nur, um Feinde zu täuschen, wie ich anfangs dachte.
Aber ich muß den Artikel hierzu nochmal raussuchen.
Aber Laufkäfer , überhaupt laufende Insekten brauchen ja auch dieses ständige und kurze Anhalten. Da gibt es keine andere Interpretation, denke ich.
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Hört sich gut an. Wäre schön, wenn du den Artikel dazu finden würdest. Ich selbst bin auf das Kopfnicken gekommen, weil mir kluge Leute erzählten, es habe etwas mit Gleichgewicht halten zu tun.
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Lieber Joachim, mal wieder ein Artikel, der mich nicht nur thematisch fasziniert und erfreut, sondern auch mein Wissen erweitert, sehr gut! Liebe Grüße
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Danke, lieber Jürgen! Ich sehe das kopfnickend schreitende Federvieh fortan mit ganz anderen Augen. LG, Joachim.
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Der Versuch mit dem Laufband ist ja sehr interessant.
Also letztlich brauchen wohl alle Lebewesen für genaues Schauen mehr Zeit, als ihnen die Fortbewegung lässt. Nur haben die verschiedenen Arten ihre je eigenen Methoden.
Die Art der Fotografen kommt zum Beispiel kaum voran, weil sie so lange schauen, dass es ihre „normalen“ Begleiter oft nervt 😉.
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So ist es wohl. Und da ich selbst wohl auch zur Art der Fotografen gehöre, würde ich umgekehrt sagen, dass die normalen Begleiter nerven. Denn sie sind es die nicht die Muße aufbringen, die zu fotografierenden Schönheiten zu würdigen. Die schönen Fotos schauen sie sich später aber gerne an. 😉
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Da hilft nur: losgehen entweder mit Begleitung oder mit Kamera 🙃
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Ja, ich weiß: Entweder – Oder. Ich neige leider mehr zum Sowohl-Als auch. 😉
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Wenn du das konfliktarm hinkriegst, ist es doch prima.
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🙂
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