Die Luft wird dünner, und manchmal ist der Wanderer von Wolken umgeben, und wenn sie zum Teppich werden, dann heißt das, daß sich vor ihm eine Schlucht auftut. Man geht über Grate, die einen halben Meter breit und fünfzehnhundert, achtzehnhundert, zweitausend Meter hoch sind, an Abgründen entlang. Die Hänge sind senkrecht, und der einzige Halt für den Fuß oder die Hand sind Wurzeln und Sträucher und manchmal ein fester Stein. Wenn man auf eine Hochfläche trifft, ist alles grün: sogar das Sonnenlicht ist grün. Der Boden ist mit einem grünen Pflanzenteppich bedeckt, die Bäume, die Sträucher und das Buschwerk zeigen die gesamte Palette des Grün. Die Baumstämme sind mit Flechten bedeckt, die wie Grünspan aussehen, sich aber nass anfühlen: Diese grüne Wirklichkeit ist feucht. Von den Blättern tropfen unzählige Regenperlen, und wenn man auftritt, sinkt das Gras mit einem wässerigen Schmatzen ein. Auf den bemoosten Felsen sind flüssige Kristalle, und den Weg kreuzen kleine Rinnsale, Wasseradern. Die Temperatur liegt wenige Grade über Null, und das Licht dringt kaum durchs Blattwerk. Auf einer Lichtung taucht ein Wolkenfetzen auf, und die Sonne zerreißt ihn, und an dem Sonnenstrahl klettert eine Dunstspirale empor. Es regt sich kein Lüftchen, doch ab und zu spürt man einen kalten Windstoß. Ganz weit dort unten ist zu beiden Seiten das graue Meer und zur dritten Seite hin sieht (es) grau aus.*
* Guillermo Cabrera Infante. Ansicht der Tropen im Morgengrauen. Frankfurt 1992, S. 94
Imposant!
🙂
Faszinierend geschrieben …
Dankeschön für’s Zeigen und Präsentieren!
Herzliche Morgengrüße vom Lu
Cabrera Infante versteht es wirklich, Stimmungen, Gefühle und Erlebnisse eindrücklich zu beschreiben. Du scheinst es am Beispiel dieser Passage ebenso zu empfinden. Auch dir herzliche Grüße und einen schönen Tag, Joachim.
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