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Marginalia, Physik im Alltag und Naturphänomene

Spirale 14 – ein vergeistigter Kreis

Die Spirale ist ein vergeistigter Kreis. In der Form der Spirale hat der Kreis, gelöst und entrollt, alles Teuflische eingebüßt; er ist befreit. Das dachte ich mir als Schüler aus, und ich entdeckte gleichfalls, daß Hegels triadische Serie lediglich die fundamentale Spiralität aller Dinge in ihrem Verhältnis zur Zeit ausdrückt. Windung folgt auf Windung. Und jede Synthese ist die These der nächsten Gruppe.*

 

Ob die Gurkenranke nun an die Hegelsche Triade gedacht hat, konnte ich nicht herausfinden. Vielmehr hatte ich den Eindruck, dass sie müde vom ewigen Suchen nach Stellen, an denen sie Halt finden könnte, sich auf sich selbst besann und sich mit einem schwungvollen Vorlauf nach Innen spiralte. Doch in der realen Welt geht es anders zu als in der idealen Welt der Hegelschen Philosophie. Hier ist man den materiellen Grenzen unterworfen – auch eine Gurke und ihre umtriebigen Ranken. In dem Versuch Windung auf Windung folgen zu lassen, stieß diese Ranke sehr schnell an ein Grenze – und die Grenze war sie selbst. Immerhin macht sie auf diese Weise vor dem pinkfarbenen Hintergrund eingerahmt von den grünen Gurkenblättern einen naturschönen Eindruck, der mich veranlasste, sie hier zu zeigen.


Vladimir Nabokov. Erinnerung. Sprich. Reinbek 1995, S. 374

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Diskussionen

20 Gedanken zu “Spirale 14 – ein vergeistigter Kreis

  1. naturschön und, mit dem Zitat und deinem Kommentieren, zu vielen angenehmen Wortspielen einladend. Dass das Spiralige und Spirituelle so klangnah sind, war mir nie aufgefallen. Aber das nach-Innen-Einrollen und das Nach-Außen-Haltsuchen als gegensätzliche Reaktion auf kritische Situationen ist mir natürlich geläufig, sowohl im Pflanzen- als auch im Menschenreich. .

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    Verfasst von gkazakou | 23. November 2020, 00:16
  2. Etwas kurz gedacht
    Das Ende nicht bedacht
    Der Pflanze kann man keinen Vorwurf machen
    Physik und solche Sachen
    Kann sie zwar durchaus
    Doch hier war der Verstand außer Haus .
    😃

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    Verfasst von kopfundgestalt | 23. November 2020, 00:33
    • Danke für die passende poetische Ergänzung. Der aushäusige Verstand ist ohnehin eine Sache, mit der neben den Pflanzen auch viele Menschen fertig werden müssen… 🙂

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      Verfasst von Joachim Schlichting | 23. November 2020, 10:11
      • Eine uralte Beschaffenheit des Menschen, wer kann sich davon freisprechen?

        Ich sah mal im Nürnberger Kunstmuseum vor vielleicht 15 Jahren eine Installation mit 64 Bildschirmen, auf denen junge Leute/Studenten sprachen. Man konnte sich einer der 64 Kopfhörer nehmen.
        Ich suchte mir 2, 3 sehr interessant wirkende Menschen aus.
        Es stellte sich heraus, daß diese jungen Leute über sich und ihre Ziele auf englisch sprachen.

        Ohne es zu bemerken, redeten sie eigentlich meist… Unsinn.
        Da wurde mir gewahr, daß auch ich oft Unsinn reden muß, zumindest wenn ich etwas gefragt werde.
        Also, alles menschlich 🙂

        Schönen Tag!

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        Verfasst von kopfundgestalt | 23. November 2020, 11:58
      • Ein sogenannter Small Talk ist gehört wohl auch hier her. Small bezieht sich ja nicht auf die Menge der Worte, sondern auf den Gehalt, der eben small ist, wenn nicht gar nur Unsinn beinhaltet.

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        Verfasst von Joachim Schlichting | 23. November 2020, 12:46
  3. Gurkenspiralen sind wirklich höchst faszinierend und ästhetisch – eine so perfekt selbstbezogene habe ich bisher noch nicht entdeckt.
    Danke auch für das anregende Nabokov-Zitat.

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    Verfasst von Ule Rolff | 23. November 2020, 08:38
  4. Lieber Joachim,
    mich faszinieren die Spiralen der Kletterpflanzen auch immer wieder.
    Sie sind so suchend und haben sie Halt gefunden, dann sind sie kaum wieder zu entfernen!
    Einen schönen Wochenbeginn von Susanne

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    Verfasst von Susanne Haun | 23. November 2020, 09:19
    • Danke, liebe Susanne, die Pflanzenspiralen sind wohl etwas wie die Materialisierung eines mathematischen Konstrukts in der Natur. Sie zeigen nicht nur das Schöne, sondern auch das „Intelligente“, das hinter und in den Spiralen steckt. Gustav Klimt und Friedensreich Hundertwasser haben dies auf geniale Weise in der Kunst eingesetzt. Liebe Grüße und eine schöne Woche, Joachim.

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      Verfasst von Joachim Schlichting | 23. November 2020, 10:35
      • Lieber Joachim, meine Lieblingsspirale in der Kunst ist die „Spiral Jetty“ von Robert Smithon. Kennst du sie?
        Viele Grüße von Susanne

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        Verfasst von Susanne Haun | 25. November 2020, 07:29
      • Ja, das ist ein tolles Natur-Kunst-Objekt. Ich kenne es nur von Abbildungen. In den siebziger und achtziger Jahren habe ich mich sehr für die Arbeiten Goldsworthy interessiert und einige Dinge im Kleinen nachgemacht. Solche Verbindungen von Kunst und Natur finde ich nach wie vor faszinierend. Liebe Grüße, Joachim.

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        Verfasst von Joachim Schlichting | 25. November 2020, 10:19
      • Die Arbeiten von Goldsworthy mag ich auch sehr, Joachim. Was ist das Werk? Das Naturerlebnis oder die Fotos davon? Eine Frage, die ich sehr interessant finde.
        Ich habe die Spiral Jetty auch noch nie life und in Farbe gesehen. Leider. Obwohl ich schon über den Lake Tahoe geschippert bin. Aber das ist lange her, ich glaube 1991, und bei absoluten niedrigem Wasserstand. Es war erschreckend. 11 Meter unter Normalwasserstand und man sah das an den Seewänden.
        Liebe Grüße von Susanne

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        Verfasst von Susanne Haun | 27. November 2020, 07:57
      • Ich denke, dass es Goldsworthy hauptsächlich auf die fotografische Dokumentation ankommt. Denn seine Kunstwerke sind ja meist von kurzer Dauer und wenn ich an den Film denke, ist die Vergängnis ja sogar ein wesentlicher Aspekt seines künstlerischen Tuns – ganz anders als man es ansonsten von Kunstwerken kennt, die mit großem Aufwand erhalten und geschützt werden.
        Der Lake Tahoe ist mir früher mal durch die Bonaza-Serie bekannt geworden.
        Liebe Grüße, Joachim.

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        Verfasst von Joachim Schlichting | 27. November 2020, 09:22
      • In einem Seminar zur zeitgenössischen Kunst haben wir auch die Landart besprochen. Ich fand die Diskussion darum, was das eigentliche Werk bei vergänglichen Arbeiten ist, sehr interessant. Da spielt die philosophisch zu sehnende Concept Art auch eine große Rolle. Hier ist das Werk die Idee. Das gefällt mir ausgesprochen gut. Ich kokettiere gerne damit und habe in einer Ausstellung einmal eine Idee ausgestellt. Das ist leider von keinem auf der Vernissage wahrgenommen worden. Leider! Es passt im Moment auch nicht in meinem Kontext als Künstlerin von „Flachware“ also Bilder für die Wand.
        Ach, der Lake Tahoe war auch in Bonanza zu sehen. Auch wenn ich durch meine Eltern viele Folgen von Bonanza gesehen habe, war ich doch zu jung, um zu begreifen, was dort vor sich geht. Ich habe nur in Erinnerung, dass dort die Welt schwarz / weiss war, es war klar wer gut und wer böse ist.
        Einen schönen ersten Advent von Susanne

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        Verfasst von Susanne Haun | 29. November 2020, 07:51
      • Was die Vergänglichkeit betrifft, so kommt es m.E. auf den Zeitraum an. Da alles vergänglich ist und selbst Alte Meister von Zeit zu Zeit restauriert werden müssen, fragt sich ob ein Landart-Objekt auch dann schon als vergänglich gilt, wenn es – sagen wir – 40 Jahre hält. Ich habe ein konkretes Beispiel vor Augen, bei dem ich mir allerdings nicht sicher bin, ob es der Landart zuzurechnen ist. Bei uns in der Nähe ist in freier Natur ein in einem Eisenrahmen fixierter Kalksteinblock mit der vielsagenden Aufschrift „Vanitas vanitatis“ von Jupp Ernst installiert worden mit dem Ziel die Vergänglichkeit zu demonstrieren. Ich begegne diesem Kunstwerk seit 2006 und muss feststellen, dass die Spuren der Zeit sich sehr eindrücklich auf dem Stein abzeichnen. Und genau das ist es, was das Kunstwerk ausmacht.
        Auch dir einen schönen 1. Advent! LG, Joachim.

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        Verfasst von Joachim Schlichting | 29. November 2020, 11:16
      • Wie wahr! Das Kunstwerk von Jupp Ernst hört sich sehr interessant an, besonders, wenn man es regelmäßig beobachten kann.
        Du hast recht, dass nichts vom Menschen geschaffenes für die Ewigkeit hält.
        Mmmm,
        Ich muss mich revidieren.
        Anscheinend haben die Plastiktüten und das Mikroplastik eine unglaublich lange Lebenszeit.
        Dir auch eine schöne Adventzeit,
        Liebe Grüße von Susanne

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        Verfasst von Susanne Haun | 1. Dezember 2020, 10:14
      • Auch dir eine angenehme und (hoffentlich) erholsame Adventzeit.
        Liebe Grüße, Joachim.

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        Verfasst von Joachim Schlichting | 1. Dezember 2020, 10:58
  5. Sehr schönes Foto, habe auch schon etliche Spiralen fotografiert! Liebe Grüße aus Wien, Hania

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    Verfasst von Hania Kartusch | 23. November 2020, 18:24

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