Mein Kind, ich hab‘ es klug gemacht: Ich habe nie über das Denken gedacht*
Goethe muss es bereits intuitiv geahnt haben, dass mit den Mitteln des Denkens über das Denken nachzudenken nicht besonders verlässlich sein kann. Genauso ging es den mathematischen Wissenschaften, die davon ausgingen, dass innerhalb eines geschlossenen Systems ganz allgemein verbindliche (widerspruchsfreie) Aussagen über das System selbst möglich seien. Bewiesen war das jedoch nicht, bis der Mathematiker und Logiker Kurt Gödel (1906 – 1978) daran ging zu zeigen, dass die Mathematik ein in sich widerspruchsfreies System ist. Dies wurde jedenfalls aufgrund ihres strengen und logischen Aufbaus intuitiv allgemein vermutet und vorausgesetzt. Wider aller Erwartungen konnte Gödel jedoch zeigen, dass in einem mathematischen System die eigene Widerspruchsfreiheit nicht bewiesen werden kann. Damit betrifft sein Beweis auch die Metaphysik: Der Glaube (sic!) an die Stimmigkeit der Logik ist demnach nicht weniger subjektiv als der Glaube an irgendeine andere rationale oder mystische Erklärungsweise.
Als mathematische Objekte zeigen die schwarzen Dreiecke gemeinsam und einvernehmlich in eine Richtung und merken nicht, dass sie sich im tiefsten Innern bereits dadurch und weil sie sich so exakt verhalten widersprechen – sie bilden zwangsläufig ein Dreieck, dass in Gegenrichtung weist (siehe Foto).
Ich fand dieses Motiv an verschiedenen Stellen in Marakesch (Marokko) auf Fliesenwänden und -böden. Ob ein schlitzohriger Keramiker damit vielleicht mehr als ein ästhetisches Moment verwirklichen und gegen das vermeintlich Exakte sticheln wollte? Darüber kann man nur spekulieren..
* Aus: Johann Wolfgang von Goethe (1746 – 1830). Zahme Xenien 7. Poetische Werke [Band 1–16], Band 2, Berlin 1960, S. 111-112
Kluger Keramiker allemal. Mich erinnern deine Überlegungen von Ferne an Archimedes, der einen Punkt außerhalb der Erde verlangte, um sie aus den Angeln zu heben. Und dann gibt es dies berühmte Bild eines mittelalterlichen Menschen, der sich aus dem „kosmischen Sternenzelt“ hinauslehnt (leider weiß ich nicht mehr wer und wo).
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Genau, auch bei Archimedes ging es zumindest hintergründig darum, die Be- und Gefangenheit im eigenen System zu zeigen. Vermutlich war er aber auch über die Mächtigkeit des von ihm entdeckten Hebelgesetzes (mit dem auch heute noch die SuS gequält werden). Was das Bild betrifft, so meinst du vermutlich den erstmalig in Flammarions L’Atmosphère (1888) erschienenen Holzschnitt, den ich auch sehr beeindruckend finde.
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Exakt. Klasse!
Klasse deswegen, weil Du die angesprovchenen Dinge so schön wiederfindest.
Unlängst suchte ich z.b. nach einer Blues-und Jazz-Sängerin, die einst als der Stolz ihres Landstrichs beworben war.. Nur durch reinsten Zufall sties ich gestern auf ihren Namen.
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Wenn du damit auf den Holzstich ansprichst: Ich hatte mich gerade vor ein paar Tagen damit befasst, um daraus möglicherweise einen Blogbeitrag zu machen. Er kann m.E. in mehrfacher Hinsicht interpretiert werden.
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Jaa, den Holzchnitt meinte ich! Danke!
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Und ja, Archimedes war ein blitzgescheiter Aufschneider, der sich allmächtig dünkte, weil er das Hebelgesetz gefunden hat. An die Grenzen des Systems dachte er wohl eher nicht.
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„Aufschneider“ höre ich zum ersten Mal. Immerhin hat er viele physikalische und mathematische Probleme gelöst oder überhaupt erst formuliert, wenngleich man weiß, dass einiges auch schon außerhalb seines Kurlturkreises bekannt war.
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Darauf komme ich in Zukunft auch noch zu sprechen. Meistens wird er ja rein astronomisch gedeutet.
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Das Motiv ist in der Tat klasse. So simpel und gleichzeitig geistreich.
Wenn man es erfinden müsste…
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Ich finde auch die Einfachheit bestechend. In Marokko beeindruckten mich viele dieser Keramiken.
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Im alten Mexiko gab es auch eine Tradition, die unfigürlich war. Darauf war speziell mein Augenmerk gerichtet, als ich in den 90ern dort hinreiste.
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Daran kann man in etwa ermessen, wie weit die bereits waren… bis die Besserwisser aus Europa kamen.
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„Wider aller Erwartungen konnte Gödel jedoch zeigen, dass in einem mathematischen System die eigene Widerspruchsfreiheit nicht bewiesen werden kann. “
DAS ist in der heutigen Zeit kein guter Hinweis, Joachim!
Was Wissenschaftler auf ihren meist „ausgezehrten“ Schultern vorangetragen und aufgetürmt haben, kann man nun mit einem Federstrich oder einer fluchsen Bemerkung leichtens ad absurdum führen.
Nun gut, es war schon immer so.
Irgendwie denke ich jetzt gerade an den Dichter Werchowenskij in den Dämonen, der seine Ideale zu verteidigen sucht und dessen Ansinnen man mit einer barschen Geste zum Schweigen bringt.
Lächerlich ist er, nur … lächerlich, mit seinen idealen. Was für ein Tropf!
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Man kann die Wahrheit nicht zurückhalten. Und Verschwörungstheoretiker werden dies eh nicht verstehen. Trotz der damit gezeigten Befangenheit der mathematischen Wissenschaften im eigenen System mit den Problemen die damit verbunden sind, gibt es auf Erden nichts Besseres… Werchowenskij ist eine zwielichtige Gestalt. Man schafft keine ideale Welt, wenn man über Leichen geht, das hat die Geschichte auch in der Realität gezeigt.
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Ich meinte den Dichter Werchowenskij, der bei Wawara Hauslehrer war. Vielleicht habe ich den falschen Namen gewählt?!
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Okay, das ist der Vater von Pjotr, der dessen liberale Ideen ins mörderische Extrem getrieben hat. Ich habe die Botschaft, jetzt extrem einfach formuliert, so interpretiert, dass die gewaltsame Durchsetzung des „Guten“ ins „Böse“ umschlagen kann.
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Ein kleines Korollar zu deinem feinen Beitrag. Vielleicht kennst du es noch nicht:
https://finbarsgift.wordpress.com/2019/02/04/hommage-a-goedel-enzensberger/
Herzliche Morgengrüße vom Lu
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Lieber Lu, zu der Zeit hatte ich deinen Blog wohl noch nicht entdeckt. Ich kenne das Gedicht von Enzensberger und hatte es für einen weiteren Beitrag über Gödel vorgesehen, was ich nun durch einen Verweis erledigen könnte.
Vielen Dank für den Hinweis!
Liebe Grüße, Joachim.
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Ach wie schön *freu*
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🙂
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Lu, ich hatte an deine Haustüre jetzt schon mind. 12 x angepocht, aber Du öffnest mir die Türe nicht. Insofern ist dein Beitrag für mich hier nicht sichtbar.
Entschuldigung, Joachim.
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Laut meiner Liste ist die Tür zum Fin für dich offen Gerhard.
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Ok, jetzt ist sie offen 🙂
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Ein gelungener Beitrag zum Denken und zur Logik, Joachim. Zumindestens das helle Dreiek weist nach rechts. Ich erinnere mich dunkel, dass einiges in der Mathematik nur funktioniert, wenn die Null ausgeklammert wird. 🙂
Eine schöne Woche von Susanne
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Vielen Dank, liebe Susanne! Die dunklen haben das helle Dreieck auch noch selbst geschaffen… Ja, man sollte beispielsweise nicht durch Null dividieren, weil man es dann massiv mit der Unendlichkeit zu tun bekommt. Und die Moral von der Geschicht? Alles kann man nicht! 😉
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Die einfachste Regel, aber ich habe im Leistungskurs Mathe gelernt, dass man trotzdem Lösungen dafür finden kann…..
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Ja, die Mathematik hat Regeln entwickelt, wie man solche Singularitäten umschiffen kann. Man kommt ihnen beliebig nahe, aber nicht näher… 😉
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Vielleicht ist das auch gut so ….. schade ist auf jeden Fall, dass unser Leben endlich ist und wir wohl nicht alle Lösungen, die Menschen finden werden, mitbekommen werden. 😦
Aber was solls ….. das ist Leben!
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Andererseits, kannst du dir überhaupt ein ewiges Leben in diesem ebenfalls zeitlich begrenzten Universum vorstellen? Ich kann es nicht.
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Ich kann es mir auch nicht vorstellen, Joachim. Ich glaube nicht, das ewiges Leben erstrebenswert ist. Ich wäre halt nur neugierig, wie es weiter geht, was für Entdeckungen gemacht werden, wie die Gesellschaft sich verändert, ob der Mensch beginnt, das All zu kolonialisieren……..
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Das geht mir ähnlich. Allerdings können wir uns nicht beklagen, was revolutionäre Entwicklungen betrifft. Man denke nur an das Internet und die künstliche Intelligenz… Das hätten sich unsere Altvorderen nicht träumen lassen. Ich will damit allerdings nicht behaupten, dass das alles zum Wohle der Menschheit und des Lebens auf der Erde ist…
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Ja, allerdings, Joachim. Meine Urgroßmutter erzählte noch von den prächtigen Kutschen von Kaiser Wilhelm. Ich erinnere mich nicht daran, aber mein Vater!
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Ähnliche Geschichten kenne von meinen Großeltern. Es ist wie aus einer anderen Welt und gibt dem Vergangenen die Vergewisserung wirklich mal gewesen zu sein. Und wenn mein Opa mir auch noch erzählte, was sein Opa ihm berichtet hat, so hat man das Gefühl, erinnerungsmäßig einen wesentlich größeren Zeitraum zu überlicken als die Spanne des eigenen Lebens.
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Ja, so ist es, Joachim. Diese „Familien-Sagen“. Irgendwann schreibe ich sie alle auf. 😉
Beeindruckend fand ich, wie meine Oma erzählte, sie seien aus dem Bunker in Schöneberg gekommen und alles stand in Flammen und obwohl es Nachts im Winter war, war es durch die Flammen taghell und warm wie im Sommer.
Wenn ich am Schöneberger Rathaus vorbei komme, denke ich immer daran.
Einen schönen Sonntag von Susanne
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Was die Kriegsgeneration durchgemacht hat, ist unglaublich. In den Städten war es besonders grausam. Ich kenne da auch einige Erzählungen. Wir Nachgeborenen haben davon meist erst sehr viel später erfahren. Entweder man wollte sich oder uns oder beide schonen. Hoffen wir, dass die Menschen nicht wieder übermütig werden…
Auch dir noch einen schönen Tag, wir versinken hier gerade im Schnee…
Liebe Grüße, Joachim.
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Meine Oma berichtete mir erst davon, als sie schon über 90 Jahre alt war. Zur Zeit habe ich einige Bücher von den Kriegskindern gelesen, die über das Erlebte der Eltern schreiben. Es findet ein Generationswechsel statt. Besonders mitgenommen hat mich „im Frühling sterben“ von Ralf Rothmann .
Liebe Grüße von Susanne
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Ja, der Roman von Rothmann macht die ganze Tragik und Ausweglosigkeit des Kriegsgeschehens auf erschreckende Weise sichtbar. Nach solchen Büchern brauche ich zwischendurch immer mal wieder etwas Erbauendes, um die andere Seite des Lebens nicht in den Hintergrund treten zu lassen. LG, Joachim.
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Das geht mir genauso, Joachim. Ich lese gerade einen Krimi von Charlotte Link, komme aber gedanklich vom Rothmann Buch nicht ganz los.
LG Susanne
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Vor dem Hintergrund solcher Romane und der graumsamen Realität in den heutigen Kriegsgebieten sind mir Krimis (von Ausnahmen abgesehen) inzwischen weitgehend verleidet. Ich kann mich nämlich zunehmend des Gefühls nicht mehr erwehren, dass dadurch die Gefahr besteht, Mord und Totschlag in den literarischen Bereich zu erheben. LG, Joachim.
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Das ist gut möglich, Joachim. Ich lese gerne die nicht ganz so brutalen, wie Brunetti, Montalbano oder Charlotte Link.
Filme sind mir bisweilen auch zu brutal. Ich frage mich dann immer, ob das nötig ist.
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Und du darfst eines nicht vergessen: Du hast deine Kunst, in der du so vieles auszudrücken vermagst 🙂
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Ja, das ist war. 🙂 🙂 🙂
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🙂
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Sehr schöner Artikel👍
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Vielen Dank! 🙂
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Ich glaube die Geheimnisse oder besser ausgedrückt und weniger abenteuerlich, die Erkenntnisse über das Denken, liegen in der Polarität, wie so viele Erkenntnisse unserer Wirklichkeit.
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Die Polarität der Denkbewegungen ist in der Tat ein wichtiger Aspekt.
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Ich hab mir erlaubt deinen Beitrag zu verlinken
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Für mich symbolisieren die Dreiecke eine Art Stillstand, das eine Dreieck kann nich vorwärts denken nicht zurückdenken, es ist leer.
Im Buddhismus nenne sie es Erleuchtung.
Auch Mohammed hatte diesen leeren Moment der Erkenntnis.
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Das ist auch eine Möglichkeit. Ein Kennzeichen einfacher Strukturen ist, dass sie mehrere Interpretationen zu lassen, je nachdem auf welchen Aspekt man sich konzentriert. Vielen Dank dafür. 🙂
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Dann könnte man auch ein Buch drüber schreiben, nicht?! 🙂
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Könnte man, es ist genug Spielraum für Interpretationen. Ich denke aber, dass es eher ein Roman als eine wissenschaftliche Studie würde. 😉
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Das Dreieck in der Mitte, weißt ja in sich auf einen Umkehrschluss hin! Also das leere Feld (Dreieck) in der Mitte des Gesamtbildes! Quasi ein Außenseiter im Richtungsstrom!🧐🤗
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Genau! Und dieser innere Außerseiter wird durch den Mainstream selbst erzeugt.
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Ah, weil die Berechnung nur dann stimmt, wenn die einheitliche Vorwärtsbewegung zum Ziel führt. Ausschlussverfahren , die zur gegen Berechnung führen, müssen eliminiert werden. Ein Ungleichgewicht darf sich nicht manifestieren. 🤗
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So ungefähr könnte man es sehen. 🙂
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Leider schützt die Intelligenz sehr intelligenter Menschen sie gelegentlich nicht davor, die Grenzen ihrer Möglichkeiten zu im Blick zu behalten. In der Mathematik, oder auch der formalen Logik bleibt‘s ein Spiel, mit vielerlei praktischem Nutzen. Darüber hinaus aber führt die Faszination an erschöpfenden, tendentiell totalitären Systemen oder Gedankengebäuden zu mancherlei Unheil. Schönes Zitat von Goethe, der einfach in lebenspraktischen Dingen zu bewandert war, als dass er in die Totalitätsfalle hätte hineintappen können.
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Das sehe ich auch so, wenngleich ich der Meinung bin, dass zur Intelligenz auch die Fähigkeit gehört, die eigenen Grenzen und damit die Vorläufigkeit ihres Denkens und Tuns zu erkennen und im praktischen Handeln einzubeziehen. Selbst in der KI würde man ein System, dass sich schließlich zugrunde richtet, nicht als intelligent bezeichnen.
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Manche sieht visuell so einfach aus und dahinter verbirgt sich ein Berg: gelungenes Beispiel aus Marrakech, Liebe Grüße
Juergen
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Ich freue mich, das aus berufenem Mund zu hören. Liebe Grüße, Joachim.
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Eine interessante Idee und Symbolik!
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Die Symbole liegen gewissermaßen auf der Straße, in diesem Fall auf dem Fußboden eines Badezimmers.
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So spannend ist das Leben !
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🙂
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