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Energie und Entropie, Physik im Alltag und Naturphänomene, Strukturbildung, Selbstorganisation & Chaos

Ohne Anomalie des Wassers geht es nicht

Als Kind war ich erstaunt, dass man viel mehr Bauklötze in den dafür vorgesehenen Kasten bekam, wenn man sie ordentlich hineinsetzte, jeden an seinen Ort. Irgendwann danach erschien es mir plausibel, weil – so mein Gedanke – jeder Zwischenraum genutzt wird, anders als wenn alles kreuz und quer durcheinander liegt. Ich musste wohl in der Zwischenzeit so etwas wie das Prinzip der Invarianz (nach Jean Piaget (1896 – 1980) ) verinnerlicht haben, dass eine Anzahl von Klötzen immer dasselbe Volumen beanspruchte, egal ob sie ungeordnet und geordnet waren. Im ungeordneten Zustand ist nur mehr oder weniger viel Luft zwischen ihnen.Sehr viel später erscheint es mir auf dieser Grundlage plausibel, dass die Atome, die aus dem ungeordneten gasförmigen in den etwas geordneteren flüssigen und schließlich in den vollständig geordneten festen Zustand übergehen, eine zunehmend größere Dichte besitzen. Ich muss nur an meine Bauklötze denken, die regelmäßig angeordnet die kleinsten Raumbedarf beanspruchen bzw. die größte Dichte annehmen.
Normalerweise ist es so. Das heißt nicht immer: Einer unseren vertrautesten Substanzen, das Wasser, verhält sich anders: Es dehnt sich aus, wenn eine Temperatur von 4 °C unterschritten wird und zu Eis gefroren ist seine Dichte noch geringer, wie man daran sieht, dass es auf dem Wasser schwimmt. Man spricht deshalb auch von der Anomalie des Wassers, der Dichteanomalie, denn das Wasser ist auch noch in anderen Hinsichten anomal.
Die Konsequenzen dieser Anomalie sind weitreichend. Da ein Gewässer vom Grund aus zufrieren würde, wäre kaum Leben denkbar. Es gäbe keine Eisberge und die Arktis wäre vom Grund aus zugefroren. Und auf Eiszapfen, die gen Himmel wachsen müssten wir auch verzichten usw.
Jeder der schon einmal erlebt hat, dass Wasserrohre im Winter geplatzt sind, hat einen Eindruck davon, welche Konsequenzen die Ausdehnung gefrierenden Wassers nach sich zieht. Nun kann man zwar die Wasserrohre durch Isoliermaßnahmen schützen. Aber andere Objekte, z.B. die porösen Straßen, werden durch gefrierendes Wasser nach und nach zunächst gesprengt, sodass noch größere Risse entstehen, die mit Wasser gefüllt beim Gefrieren zu noch größeren Straßenschäden führen.
Aber etwas globaler betrachtet, verdankt das Leben auf der Erde diesen Mechanismus sehr viel. So ist beispielsweise in den Bergen dieser Wechsel von Gefrieren und Schmelzen ein wesentlicher Aspekt der Erosion (siehe Foto), durch den erdgeschichtlich gesehen die Berge immer wieder abgebaut, durch Wind und Wasser zu Tale befördert und schließlich in fruchtbaren Boden verwandelt werden.
Wasser ist allerdings nicht die einzige Substanz, die eine solche Anomalie aufweist. Es gibt einige andere Stoffe, die sich in bestimmten Temperaturbereichen durch Erhitzen zusammenziehen. Dies wird sogar technisch ausgenutzt. Ein bekanntes Beispiel ist das Ceran-Kochfeld eines Herdes. Dieses Material weist eine sehr hohe Beständigkeit gegenüber Temperaturänderungen auf. Das in ihm enthaltene Glas dehnt sich zwar infolge der Temperaturerhöhung aus, dieser Effekt wird aber dadurch ausgeglichen, dass sich andere Komponenten des Cerans durch die Erwärmung in gleichem Maße zusammenziehen.
Zum Glück gibt es beim Umgang mit Bauklötzen keine ähnlichen Anomalien. Es wäre kaum auszudenken, wenn dadurch die im Umgang mit den Bauklötzen ausgebildete Invarianzvorstellung und das damit verbundene Gefühl von „Normalität“ konterkariert würden. Denn nur vor dem Hintergrund einer Normalität wird eine Anomalie als solche erkennbar und fassbar.

 

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Diskussionen

12 Gedanken zu “Ohne Anomalie des Wassers geht es nicht

  1. Deshalb wohl hält man Leben ohne Wasser für unverzichtbar, Aber: Was ist Leben?! Auf dieser (unklärbaren) Frage fusst ja manchmal Sci-Fi.
    Wenn das Weltall stirbt, so „hörte“ ich vor einiger Zeit in einem Video, bleibt am Schlus nur … Information. Alles Materielle hat sich aufgelöst, aber ganz „leer“ soll das „Weltall“ dann immer noch nicht sein.

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    Verfasst von kopfundgestalt | 7. Februar 2021, 00:37
  2. Um ganz „im System“ zu bleiben, stelle ich nach der Lektüre deines wie immer so gedankenanregenden Textes fest: Ein Glück, dass die Bauklötze sich normal verhalten, ein Glück, dass das Wasser sich unnormal verhält. Beides ist wichtig und richtig zur Erhaltung des Lebens. Gut, dass im Ceran das eine sich normal, das andere unnormal verhält – so ist Stabilität gewährleistet.
    Gut also, dass sich in der Gesellschaft…..? Nun, es kommt drauf an…

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    Verfasst von gkazakou | 7. Februar 2021, 10:06
  3. Ja wie kommt es, das alles in der Natur nicht zu optimieren ist? 🤔

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    Verfasst von Johanna | 7. Februar 2021, 15:12
  4. Ja das ist wahr! Es regt zum Nachdenken und Staunen an!

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    Verfasst von Johanna | 7. Februar 2021, 20:39
  5. Danke für diese so schön formulierte und eingängige Erklärung. 🙂 🙂 🙂

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    Verfasst von Susanne Haun | 8. Februar 2021, 09:44

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