Um zu begreifen, dass der Himmel überall blau ist,
braucht man nicht um die Welt zu reisen.
Johann Wolfgang von Goethe (1749 – 1832)
Die Ausbeute an Phänomenen war in dieser kurzen aber heftigen Schneeperiode, wie wir sie hier seit Jahrzehnten nicht hatten derart groß, dass ich auch in dieser Tauphase noch einiges nachtragen möchte.
Eine verspiegelte Kugel bildet die ganze Welt um sie herum ab. Ausgenommen ist nur der kleine Bereich den die Kugel selbst verdeckt. Das geht natürlich nicht ohne Verzerrungen und extreme Komprimierungen einher. Wenn man wollte und das „Auflösungsvermögen“ von Kugel und Kamera ideal wären, würde man alles wiederfinden, was bei einem Rundumblick nach und nach zu sehen wäre.
Der Schnee ist für solche Ein- und Ausblicke in die Welt nicht nötig, aber er reduziert die Komplexität, indem er für einen neutralen Rahmen sorgt und unsere Aufmerksamkeit auf wesentliche Aspekte lenkt: So sieht man im Zenit des Himmels einen tiefblauen Bereich, der vor allem deshalb so deutlich hervorsticht, weil man ihn in der Kugel komprimiert und mit einem Blick erfasst. Beim direkten Blick in den Himmel müsste man schon in etwa wissen, was man zu sehen erwartet. Hier fällt es von sich aus auf.
Das tiefe dunkle Blau des Zenits kommt dadurch zustande, dass man in dieser Blickrichtung durch die dünnste Atmosphärenschicht hindurch in den Weltraum blickt (siehe Grafik: senkrechte rote Linie). Daher erreicht uns aus dieser Richtung die geringste Intensität der indirekten Beleuchtung, die durch die Streuung des Sonnenlichts an den (Schwankungen der) Luftmoleküle hervorgerufen wird. Das Dunkle des Weltraums schimmert gewissermaßen durch die blaue Luftschicht hindurch und mischt sich diese verdunkelnd ein. Wenn wir den Blick zum Horizont hin senken, durchblicken wir eine immer dicker und dichter werdende Atmosphärenschicht, sodass es zu wesentlich mehr Streuvorgänge kommt (siehe Grafik: waagerechte rote Linie). Sekundärstreuungsvorgänge und solche an größeren Teilchen wie Aerosolen mischen immer mehr Weißanteile mit ein und minimieren den Einfluss des dunklen Weltraums. Besonders deutlich wird dies am Abend, wenn der Weg des Lichts der tiefstehenden Sonne durch die Atmosphäre so lang ist, dass bereits der größte Teil des kurzwelligen Lichts (Violett, Blau, Grün…) seitlich weggestreut wurde und daher die langwelligen Gelb- und Rottöne dominieren.
Konsequenterweise ist der Schatten der Spiegelkugel blau. Denn dorthin kommt kein direktes Sonnenlicht. Da der Schnee alle Farben des Spektrums etwa gleich gut reflektiert, fällt uns das hier besonders auf. Die Kugel spiegelt sogar ihren eigenen Schatten.
Da stimme ich als Weltumseglerin nicht ganz zu😉
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Womit genau?
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Als ich um die Welt gesegelt bin, war der Himmel nicht überall blau, sondern zeigte sich in vielen Farben …😊
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Klar. Abweichungen von den Idealgestalten sind natürlich immer gegeben. Aber erst durch den Vergleich mit dem Idealzustand kann man mögliche Einflussfaktoren wie etwa Saharastaub oder Staub durch Vulkanausbrüche erkennen. Selbst auf meinem Foto mischt sich eine Wolke ins Geschehen… 🙂
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Ich finde es interessant, wie das Farbspiel des Himmels sich in der Psyche abbildet: Blau als die Farbe der unstillbaren Sehnsucht, Rot als die des Tätigseins und der Nähe. Auch in der Malerei rückt Rot die Dinge nah, Blau aber fern (Farbperspektive)
Wie verbindest du dies mit den Himmelsfarben?
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Leider sind sich die „Gelehrten“ nicht einig, welche gefühlsmäßigen, expressiven, synästhetischen oder wie auch immer Wirkungen die Farben auf die Menschen ausüben. Ich habe an die 10 Bücher gelesen, die sich mit damit befassen und es lässt sich keine einheitliche Linie feststellen. Beispielsweise heißt es in dem Buch „Blau“ von Alexander Thouraux gleich zu Anfang: Blau ist eine geheimnisvolle Farbe, die Farbe der Krankheit und des Adels, die seltenste Farbe in der Natur (Häh? Ist der blaue Himmel keine Natur? Und die Lilien, und die Vergissmeinnicht?) usw.
Ich verbinde mit den Himmelfarben je nach Stimmung ganz unterschiedliche Gefühle. Bei blauem Himmel in freier Natur zu wandern ist für mich das pure Glück. Bei blutrotem Sonnenuntergang denke ich überhaupt nicht an Blut. Das Rot hat je nach Kontext eine ganz andere Wirkung. Der rötliche Abendhimmel ruft bei mir Lagerfeuerstimmung hervor bis man beim letzten Verglimmen und einigem Wein intus fröhlich auseinander geht. Ich bezweifle, dass absolute Zuschreibungen möglich sind. Dass Rot die Dinge nah rückt und Blau fern ist ja physiologisch-physikalisch begründbar und daher wohl auch weitgehend intersubjektiv feststellbar. Was darüber hinaus geht, halte ich für sehr schwierig.
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Durchaus einverstanden, Joachim. Das Wandern unter blauem Himmel ist ein sehr kräftig-positives Erleben und das Betrachten eine Sonnenuntergangs kann einen einen melancholisch machen. Auch finde ich ein klares Blau, wenn man es in Bildern einsetzt, sehr positiv-heiter.
Insofern ist die Konnotation „blau -sehnsuchtsvoll“, „rot-aktiv“ tatsächlich zu eng. Versuchsweise würde ich für Blau „rein, freilassend, friedfertig-unaggressiv, vergeistigt“ oder auch, wie bei Trakl, den Erlösungsaspekt des Todes. hinzufügen. All das ist dem Himmelsblau ebenfalls eigentümlich. Und so komme ich auf meine Frage nach dem Zusammenhang zwischen den erlebten Naturfarben (in diesem Fall des Himmels), dem seelischen Empfinden und den Jenseitsvorstellungen des Menschen zurück.
Kandinsky sagt: „ Im allgemeinen ist die Farbe ein Mittel, um direkten Einfluß auf die Seele auszuüben. Die Farbe ist die Taste. Das Auge ist der Hammer. Die Seele ist das Klavier mit den vielen Saiten “ (Über das Geistige in der Kunst) Das klingt nun wieder sehr apodiktisch.
Ich kam auf meine absolut klingende Feststellung, weil ich dieser Tage in Bloghausen eine Animation sah (leider habe ich vergessen wo), wo ein sehnsuchtsvolles Mädchen, blau angezogen, ins Blaue träumte, während ein roter Fuchs und eine rote Blume es zu konkretem Handeln veranlassten.
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Ja, dem kann ich weitgehend folgen. Ich frage mich aber inwieweit das Farbempfinden auch kulturell bedingt ist. Ich denke, dass die Prägungen tiefgehender sind als die physiologischen. Ich erinnere mich an eine Untersuchung (lange ist es her, als das globale Dorf noch nicht bis in alle Ecken dieser Welt vorgedrungen war) zur Farbwahrnehmung in verschiedenen Kulturkreisen. Das Ergebnis bestätigte diese These sehr deutlich. Dennoch stelle ich immer wieder völlig unterschiedliche Einschätzungen z.B. in Kunstmuseen von Menschen fest, von denen ich meinte, dass die wie ich ticken.
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Ich hab nun noch nach Kandiskys Blau-Verständnis gegoogelt: „Je tiefer das Blau wird, desto tiefer ruft es den Menschen in das Unendliche, weckt in ihm die Sehnsucht nach Reinem und schließlich Übersinnlichem. Es ist die Farbe des Himmels.“
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Sag ich doch: Der Himmel ist blau. Er ist nach und fern zugleich. Er reicht bis zur Erdoberfläche und mischt sich überall ein. Schatten auf dem Schnee sind blau.
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Erst kürzlich das nachdrücklich fotografiert 🙂
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Der Himmel kann auch anders: „Der Abend wechselt langsam die Gewänder…“ sagt Rilke. Das Tolle ist, dass auch dies eine Folge des Himmelblaus ist.
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Es soll immer noch Fotografen geben, die meinen, blaue Schatten im Schnee seien Artefakte ihrer Knipskasten und folglich werden jene fleissig eingegraut. Schade eigentlich.
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Das liegt aber auch teilweise daran, dass manche das Blau der Schatten mit bloßem Auge gar nicht oder nur abgeschwächt sehen. Ich selbst sehe das Blau leicht abgeschwächst auch mit den Augen.
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Faszinierend… wieder mal ein neuer Blickwinkel!
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Vielen Dank! Der Winkel des Blicks ist diesmal maximal…;)
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Immer neue Perspektiven! Diesmal sehe ich einen Augapfel….😂
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Ja, wo du es sagst, sehe ich ihn auch…
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😅
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