Vice versa
Ein Hase sitzt auf einer Wiese,
des Glaubens, niemand sähe diese.
Doch, im Besitze eines Zeißes,
betrachtet voll gehaltnen Fleißes
vom vis-à-vis gelegnen Berg
ein Mensch den kleinen Löffelzwerg.
Ihn aber blickt hinwiederum
ein Gott von fern an, mild und stumm*
An dieses Gedicht Christian Morgensterns musste ich denken, als ich hinter einer Fensterscheibe eine Beobachterin sitzen sah, die überhaupt nichts dagegen hatte, von mir beobachtet zu werden (siehe Foto). Vielmehr besteht darin ihre aus künstlerischer Absicht entstandene Existenzberechtigung. Dass ich möglicherweise der obigen Einlassung Morgensterns entsprechend beim Beobachten selbst beobachtet wurde, kam mir während der Beobachtung nicht in den Sinn. Und wenn auch, der mögliche Beobachter musste damit rechnen, dass auch er selbst dabei beobachtet wurde, wie er mich beim Beobachten der beobachtenden Frau beobachtete.
Die Spiegelung in der Scheibe kann übrigens auch als eine Art der Beobachtung angesehen werden. Hier sieht man sogar den Ausschnitt der Welt, den die Scheibe gerade beobachtet.
* Christian Morgenstern.
Gesehen, fast gesehen werden.
Ich hatte vor Jahren zufällig eine alte Freundin getroffen, in einer Stadt, wo sie nicht wohnte.
Dadurch, dass ich zufällig nochmal kurz in eine Gasse zurückging, um ein Schild zu lesen, begegnete ich ihr dann beim Durchschreiten des Platzes. Sonst hätte ich sie nicht sehen können.
Wie oft war man an Orten unterwegs, wo in unmittelbarer Nähe ein Freund des Wegs ging, nur wenige Meter weiter?
Am Schluss des Lebens sagt man etwa: Wir haben uns nur dreimal getroffen, Gott sagt aber, ihr wart zehnmal in grosser Nähe .
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Das ist auch noch so ein Thema, mit dem ich selbst zu tun hatte/habe. Ich habe ein und denselben Klassenkameraden in den letzten 56 Jahren fünf mal an den verschiedensten Orten in der Welt getroffen. Das begann 1964 auf einem sehr abgelegenen Pissoir in Paris…
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5x ist eine grosse Zahl.
Du hattest das mit Paris schon mal erwähnt.
Zu dem Thema gibt es einen wunderbaren Song von kate bush: Snowed In at Wheeler Street.
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Entschuldige, das hatte ich vergessen, passte aber gut zu deinen Beobachtungen. Den Song werde ich mir mal heraussuchen.
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Der hat mich sehr berührt und tut es immer noch 🙂
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Ich habe ihn mir inzwischen angehört und kann deine Gefühle nachvollziehen.
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„Ihn aber blickt hinwiederum ein Gott von fern an, mild und stumm*
Mit diesem angenehmen Wissen gehe ich jetzt schlafen und vergesse, wer mich sonst noch beobachtet.
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Dann bleibt mir nun nur noch dir zu wünschen, dass du eine gute von äußeren Beobachtungen freie gute Nacht hattest.
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Sag mal, ich überlege schon die ganze Zeit, das ist doch ein Fall von Schleichwerbung im Gedicht? 🤔😉 Oder weißt du zufällig, ob Zeiss jemals ein Gattungsname (wie Tempo etc.) war?
Erheiterte Mittagskaffeegrüße 😁🌧️☕🥨👍
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Ich denke Morgenstern hielt es wie sein Mondkalb und „tat´s um des Reimes willen“. Jedenfalls, kann ich mich nicht erinnern, dass je ein Fernrohr als Zeiss bezeichnet wurde. Ob es vor unserer Zeit anders war, weiß ich nicht. Heute würde man das wohl als Schleichwerbung ansehen. Und wünsche dir schöne Teepausengrüße, die (statt Kaffee) in einer Stunde anliegen 😉
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